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Meine letzte Stunde

Meine letzte Stunde

Titel: Meine letzte Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Salcher
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in die heftigen Gefühlsschübe der Pubertät zurückfällt, wird keine stabilen intimen Beziehungen eingehen können. Das heißt aber auch sich einzugestehen, dass man die eigene Jugend einmal abschließen muss und eben „erwachsen zu werden.“ Man ist nur einmal jung, aber manche bleiben ihr Leben lang unreif. Die große Herausforderung für das mittlere Erwachsenenalter besteht darin, viel an die nächste Generation großzügig weiterzugeben, statt das erworbene Wissen und den Wohlstand krampfhaft für sich allein behalten zu wollen. Bestimmte Dinge, die einem besonders wertvoll sind, werden einem vom Leben einfach genommen, ohne dass uns jemand um unser Einverständnis fragt. Das kann die Gesundheit, einen geliebten Menschen oder eine wichtige Position betreffen. Die Herausforderung des Lebens besteht in dieser Phase darin, großzügig von dem zu geben, was man sich angeeignet hat, und an dem, was einem genommen wurde, nicht zu zerbrechen, sondern es als eine Möglichkeit zum Lernen und Wachsen zu sehen.
    Genau diese beiden Fähigkeiten, großzügig gegeben zu haben und gelernt zu haben, an Verlusten zu wachsen, sind entscheidend für die Qualität der letzten Lebensphase, dem reifen Erwachsenenalter. Dann sind wir wieder abhängig davon, dass andere uns Zuneigung, Liebe und Mitgefühl um unserer selbst willen schenken, und nicht, weil wir so attraktiv sind oder eine bedeutende Position einnehmen. So kann sich der Kreis, der mit viel Nehmen als Kind begonnen hat, später mit immer mehr Geben weitergeführt wurde, im hohen Alter mit dem Nehmen wieder schließen.
    Das ist natürlich eine idealtypische Beschreibung eines Modells, das in der Wirklichkeit eines Lebens nie zu erreichen sein wird. Es wird immer wieder Phasen des Rückschlags geben, wo wir in frühere, längst überwunden geglaubte Phasen zurückfallen, um uns später mit viel Willenskraft und der gewonnenen Erfahrung wieder weiterentwickeln. Manche werden vielleicht viele Phasen fast spielend bewältigen, um dann in einer besonders lange hängen zu bleiben. Wir kennen alle diese „Und täglich grüßt das Murmeltier“-Zeiten im Leben, in denen wir glauben, dass überhaupt nichts mehr weitergeht. Es wird auch solche geben, die erst sehr spät in ihrem Leben erkennen, was das wirklich Wichtige in ihrem Leben ist.
     
    Es ist nie zu spät, das zu werden, was man hätte sein können.
    George Eliot
    Vom Geben zum Aufgeben
    Zu lernen, im Leben in richtigem Ausmaß zu geben und zu nehmen, ist eine schwer zu erwerbende Weisheit. Denn es gibt zu viele Beispiele der besonders Erfolgreichen und Berühmten, die uns ständig vermitteln wollen, dass jene, die vor allem nehmen, die Klugen, und jene, die nur geben, die Dummen sind. Und dann gibt es die völlig abgehobenen idealisierten „Heiligenfiguren“, die sich immer nur für andere aufgeopfert haben, in denen wir aber wenig Lebensähnlichkeit entdecken können. Das Leben ist eben nicht schwarz und weiß.
    Man tut sich natürlich wesentlich leichter, materiellen Besitz aufzugeben, sich nicht mehr von spontanen Kaufreizen treiben zu lassen, wenn man das schon alles gehabt hat. Der Wunsch, einmal im Leben einen Porsche zu fahren, eine Luxusuhr und ein schönes Haus zu besitzen, ist ein viel stärkerer, wenn man das alles noch nicht erlebt hat. Der gute Rat von jemandem, der von fünf Autos auf zwei, eines davon sogar mit Hybridantrieb, umgestiegen ist, dass Autos ohnehin nicht wichtig sind, lässt bei jemandem, der immer nur mit der vollgestopften U-Bahn fährt, doch eher Aggression über so viel Unverständnis und Arroganz aufkommen.
    Ich will nicht in den Chor jener einstimmen, die bei jeder Gelegenheit unsere materielle Wohlstandsgesellschaft geißeln. Jene, die schon alles haben, tun sich sehr leicht, anderen das Sein statt des Habens zu predigen. Ein Leben, in dem nie Platz für Unsinn, Fehltritte, Spontankäufe und Dummheiten war, kann wohl kein sehr lustvolles gewesen sein. Die buddhistische Idee, sich vom Haben-Wollen und vom Begehren völlig frei machen zu können, ist ein so schönes Ideal wie die christliche Nächstenliebe, das man immer ehrlich anstreben sollte, aber es zur Richtschnur seines täglichen Lebens zu machen, wird für den Großteil der Menschen zu ständigem schlechten Gewissen führen. Die Frage lautet nicht: Sein oder Haben?, sondern: Wie kann ich Sein und Haben in ein ausgewogenes Verhältnis bringen? Das hat übrigens auch Erich Fromm, der durchaus in Wohlstand zu leben wusste,

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