Meine letzte Stunde
bestens für sich vereint. Dagegen ist auch gar nichts einzuwenden, es soll nur einmal mehr aufzeigen, wohin die Verabsolutierung von eigenen moralischen Ansprüchen an andere meist führt. Der Weg des anspruchslosen Eremiten ist nur für wenige gangbar, und der Weg des reinen Materialisten führt in die emotionale Verwahrlosung.
Es verlangt viel Selbsterkenntnis, um ein Prinzip des Lebens zu verstehen, das auch in den letzten drei Phasen des Modells von Erikson immer deutlich in den Vordergrund tritt: Dieses Prinzip lautet: Wir bekommen nur das, was wir aufgeben.
Klingt das nicht zu altruistisch? Oder sind das nicht sogar esoterische Fantasien von einer idealen Welt, die mit der realen nichts gemeinsam hat? Interessanterweise wurde dieses Prinzip durch die Wissenschaft immer wieder bestätigt. Zwei praktische Beispiele sollen zeigen, dass hinter diesem Gesetz kein moralisierender Appell, sondern eine sehr nachvollziehbare Handlungsanleitung steht, die dem, der ihr folgt, mehr Glück und Freude in seinem Leben bringen kann.
Denken Sie an etwas, das sich in Ihrem Besitz befunden hat, etwas, das Ihnen sehr viel bedeutet hat, unabhängig von seinem materiellen Wert. Und dann gab es diesen Augenblick, wo Sie überlegt haben, es einem Freund zu reichen, von dem Sie wussten, dass er es sich sehr gewünscht hat. Wenn Sie einmal tatsächlich diesem spontanen Impuls gefolgt sind und es Ihrem Freund, für diesen völlig unerwartet, geschenkt haben, kam vielleicht ein Augenblick des Schmerzes über den Verlust. Doch nach kurzer Zeit wandelte er sich in ein großartiges Glücksgefühl, das Sie immer in Ihrer Erinnerung zurückholen können. Von dem Augenblick des Aufgebens an gehörte es wirklich Ihnen und niemand konnte es Ihnen je wieder wegnehmen.
Ein Experiment, das schon hunderte Male wiederholt wurde, beweist die große Kraft, die hinter dem Gedanken des Freudeschenkens steht. Eine Gruppe von Menschen wird in zwei gleich große Untergruppen geteilt. Jeder erhält 15 Euro und wird in den nächsten Ort geschickt. Die eine Gruppe erhält den Auftrag, dass sich dort jeder Einzelne etwas kaufen soll, das ihm Freude macht. Die Aufgabe für jedes Mitglied der zweiten Gruppe ist, die 15 Euro jemand Fremdem zu geben, damit der sich einen Wunsch erfüllen kann. Danach kommen wieder alle zurück und berichten von ihren Erlebnissen. Es führt immer zu dem Ergebnis, dass die Mitglieder der zweiten Gruppe sich deutlich glücklicher fühlen als die der ersten.
Du hast nicht gelebt, ehe Du nicht jemandem geholfen hast, der Dir nichts zurückgeben kann.
John Bunyan
Viele Wege führen zum Sinn – nur einen einzigen zu gehen, ist meist Unsinn
In vielen Seminaren und Ratgebern wird unser Verstand als Haupthindernis auf dem Weg zur Selbsterkenntnis identifiziert, und das führt dann zu der Aufforderung, uns von diesem Verstand zu befreien. Natürlich leben wir gerade in unserem Kulturkreis in einer Gesellschaft, die den Verstand überbetont und den Körper und die Seele des Menschen häufig vergisst. Aber die Lösung kann nicht darin liegen, uns deshalb unseres kritischen Denkens zu berauben. Von der Übersinnlichkeit ist es oft nur ein kleiner Schritt zur Widersinnigkeit. Neben Weisheit und persönlicher Integrität verfügen große spirituelle Lehrer vor allem über eines: einen scharfen Verstand, und sie verstehen diesen zu nutzen.
Worauf ich hinaus will, ist, dass es wie zuvor beschrieben weder den einen Sinn des Lebens gibt, noch den einen Weg dorthin. Und egal, welchen Weg wir auch gehen, unseren Verstand sollten wir nie ganz zu Hause lassen. Dieser wird uns auch daran erinnern, dass wir vor allem in Zeiten großer Unzufriedenheit oder Traurigkeit besonders anfällig für Lehren sind, die uns versprechen, dass wir uns nur von unserem falschen Ego trennen müssten, damit das wahre wunderbare Selbst zum Vorschein kommt. Wenn wir dagegen besonders erfolgreich oder glücklich verliebt sind, dann verspüren wir wohl keinerlei Neigung, uns von diesem sehr positiv empfundenen Selbst zu trennen. Ich habe Zweifel daran, dass es ein einziges wahres Selbst gibt, das einer idealisierten, bedürfnislosen, unendlich gütigen Form von uns entspricht. Viel plausibler erscheint, dass ständig verschiedene „Ichs“ in uns um die Vorherrschaft kämpfen, die manchmal in unterschiedliche Richtungen ziehen und wir uns dann wie ein Kutscher fühlen, dem die Pferde durchgehen.
Das sollte uns nie daran hindern, die vielen Möglichkeiten, den
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