Meine Mutter, die Gräfin
nach einer Anstellung fragen könne? Ob sie zum rumänischen Konsulat gehen und sich bei ihnen erkundigen könne, ob sie ihm bei dem Versuch, dem deutschen Leser rumänische Literatur nahezubringen, helfen könnten? Könne sie nicht die Spedition Schenker anrufen und nach Preisen fragen? Wenn nichts Aussicht versprach, würde er versuchen, sich als Buchhändler in Leipzig zu etablieren. Aber warum? Warum nicht Berlin? Oder Hamburg – Fritz' Heimatstadt?
Der Hauptgrund für einen Buchhändler, sich für Leipzig zu entscheiden, war natürlich, dass diese – damals – fünftgrößte Stadt Deutschlands als deutsches Zentrum der Buch- und Verlagswelt galt; eine ganze Industrie wuchs dort aus dem Boden. Dort lag die Deutsche Bücherei, deren Aufgabe darin bestand, alle veröffentlichten deutschen und deutschsprachigen Werke (auch in Übersetzung) in einer gigantischen Nationalbibliothek zusammenzutragen.
Und außerdem lag dort ein Haus. Und hier, ja hier hat der erste Verlobte meiner Mutter wieder seinen Auftritt, der Professor, der – wie ich mittlerweile weiß – Louis Dunogier hieß; dieser geheimnisumwitterte Mann, dessen Hand so voller Besitzerstolz auf ihrer Schulter geruht hat.
Im Frühjahr 2006 flatterte uns Geschwistern nämlich ein Brief ins Haus, in dem es um ein Haus in Leipzig ging – man suche nach den rechtmäßigen Erben –, wir gaben uns schon Träumen hin. Doch das kam dabei heraus:
1928 kaufte Louis Dunogier für 5000 Mark eine Mietskaserne. 1941 war das Haus auf zwei Besitzer eingetragen, zwei Helenes – eine Helene Schledt und eine Helene Dunogier, geborene Haltrich. Unsere Träume zerplatzen, als sich herausstellt, dass man nach den Erben der anderen Helene – der
geborenen Halterich – sucht, weil Leni ihren Anteil an einen gewissen Uwe übertragen hatte; einen jungen Mann, der ihr in der heruntergewirtschafteten DDR geholfen hatte. Bestimmt ein Heiratsschwindler, meint Eili, derweil ich – alte Romantikerin, die ich bin – lahm protestiere.
Mehr Fakten: Briefe aus den Dreißigerjahren, die sich in meinem Besitz befinden, deuten zum einen darauf hin, dass Fritz Besitzer des Hauses war – 1936 ließ er Toiletten einbauen – und dass Dunogier ein mieser Vermieter ist, der jetzt auf einmal Miete von ihnen verlangt: 20 Mark – »Unverschämtheit!«, empört sich seine erste Verlobte, »gib mir seine Adresse, dem werde ich einen gepfefferten Brief schreiben!«
Vielleicht hat Fritz das Haus ja während der Hyperinflation 1928 gekauft und es dann 1928 an Charlottes Ex-Verlobten verkauft – vielleicht verbunden mit einer Vereinbarung, die ihm ein gewisses Eigentumsrecht einräumte? Und dann haben sie das halbe Haus zurückgekauft? Was weiß ich? 1941 war Leni jedenfalls im Besitz des halben Hauses und bringt uns um ein Vermögen, indem sie im April 1991 alles an den netten Uwe verschenkt. Dozent war er, wie ich den Papieren entnehmen kann.
Wie auch immer. Schledts besitzen also irgendwie ein ganzes oder ein halbes Haus in der Reginenstraße 14, wohin der Buchhändler jetzt mit seinen in Kisten verpackten Büchern zieht, die er nicht verkaufen konnte – und mit seiner einst so schönen Frau, die das ganze Frühjahr und den ganzen Sommer hindurch versucht hat, die Buchhandlung in Radautz zu verkaufen. Seiner Frau, die all die schwere Arbeit verrichtet hat. Die in der Kälte und der Hitze die ganze Inventur gemacht hat und die erst hinterherkam, nachdem sie im Juni 1932 in Radautz zusammen mit Leni die restliche Arbeit erledigt hatte.
Zwischen dem ganzen Ärger mit dem Regen, der das Haus
unverkäuflich macht – 15 cm Wasser im Esszimmer! –, und allen Geldtransfers, die sie wegen der Buchhandlung zu tätigen hat, hält sie gleichsam beiläufig auf Papier fest – fast so, als wolle sie sich selbst damit trösten –, dass »die Welt eigentlich ziemlich klein ist. Zum Glück, ist der Mensch doch ein Herdentier.«
Wie meinst du das, Emilie, frage ich mich – dass es keine größere Rolle spielt, wo man lebt? Und sie hebt den Blick und lässt ihn über ihren blühenden Garten schweifen.
Also gingen sie nach Leipzig, in diese Betonwüste, die rund 700 000 Einwohner hatte, als sie dort hinzogen.
Und nach Leipzig kam auch der Journalist Peter Lorenz und verfasste eine kleine Kolumne über seinen Freund, den Buchhändler und Auslandsdeutschen Gottlieb Wahrmund. Wobei Peter niemand anderes als Alexander und Gottlieb (Den Gott liebt) Wahrmund (der die Wahrheit spricht) niemand anderes
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