Meine Mutter, die Gräfin
aufgefordert hatte, sich für einen Ring zu entscheiden – hatte sie doch mehrere an den Fingern, als sie eingereist war –, also, bitte sehr, wählen Sie, und sie sich also für seinen Ring entschieden hat, obwohl die anderen viel wertvoller gewesen waren. Und ich starrte immer in den strahlenden Sonnenuntergang dieses Opals und dachte bei mir, dass das der schönste Ring ist, den ich je gesehen habe.
Jetzt suche ich zusammen, was ich über Heinrich Kurella finden kann. Es ist ein Geschenk an sie. Ihm wieder Konturen zu geben, ein Schicksal, eine Vorstellung von ihm – die Erinnerung an ihn lebendig werden zu lassen. Heinrich Kurella. Also suche ich. Und werde fündig.
Nervös sei er, fand Emilie besorgt. Dieser Eindruck wird durch Gretes Memoiren gestützt – denn daraus erfahre ich
zuerst etwas über ihn. Er taucht in ihrer Geschichte auf, als sie ihr Leben im Jahr 1928 beschreibt, als sie anfängt, in der Redaktion der Inprekorr zu arbeiten; der Internationalen Pressekorrespondenz – der Zeitschrift der Komintern außerhalb der Sowjetunion, eine Zeitschrift, die in verschiedenen Sprachen und unter verschiedenen Titeln veröffentlicht wurde (siehe oben S. 256). Im Jahr 1928 war die Redaktion gerade an den Bülowplatz (heute Rosa-Luxemburg-Platz) in die neue KPD -Zentrale, das Karl-Liebknecht-Haus, umgezogen – jenes geheimnisumwitterte Haus, in dem auch das Parteiorgan Rote Fahne herausgegeben wurde und in dem es angeblich geheime Gänge gegeben haben soll. Liebevoll zeichnet Grete ein Bild von ihren neuen Kollegen: Da waren ihr Chef Julius Alpari, der Ungar war, und seine Frau Elisabeth, da war »Pepi« aus Wien, Aladár Komját mit seiner Ehefrau Irén, ebenfalls aus Ungarn – »bürgerlich« und charmant, er sei eine Mimose gewesen – ein Wort der Kritik, und er sei in eine Depression gestürzt. Darüber hinaus arbeiteten dort der Engländer Edward Fitzgerald und der Schwede Smolan, »Småland«, alias Johan Albert Johansson, »der noch mit gläubig strahlenden blauen Augen in die Welt blickte«. Auf seinen Namen bin ich auch in meiner Promotionszeit gestoßen, er war anscheinend derjenige, der für die schwedische Ausgabe der Inprekorr, Världen i Dag (Die Welt) verantwortlich zeichnete. Und unter ihnen, einer der Jüngsten: Heinrich Kurella, der auch eine richtige Mimose gewesen sei, ein »krankhaft sensibler Mensch«, Gretes Worten nach zu urteilen: »Er war überempfindlich, wurde von Stimmungen beherrscht und gestand mir einmal, dass es ihm unerträglich sei, an ein und demselben Tag den gleichen Weg zweimal gehen zu müssen. Er könne diese Eintönigkeit nicht ertragen.«
Die meisten Mitarbeiter der Inprekorr gehörten zu den »Versöhnlern«, einer Fraktion innerhalb der KPD , die zwischen dem linken und dem rechten Flügel stand und geneigt war,
eher mit dem rechten zusammenzugehen, und die sich der auf dem Kongress der Komintern 1928 verabschiedeten Ultralinksstrategie widersetzte (siehe oben S. 236) und Bucharins Politik nahestand. Unter den »Versöhnlern« herrschte Misstrauen gegenüber Stalin – das musste Grete am eigenen Leib erfahren, als sie sich in den Kommunisten Heinz Neumann verliebte, der zu den »Linken« der Partei gehörte.
»Bist du etwa mit diesem Stalinisten befreundet? Schöner Geschmack«, hatte Kurella geschnaubt und Grete vor Wut zum Kochen gebracht. Sogleich hielt er schriftlich fest, dass sie mit Heinz befreundet ist. Obwohl Grete es nicht an die große Glocke hängt.
Familie Kurella
Ich forsche weiter und finde etwas über Kurella im Internet – mein Herz macht einen Satz. Doch war ich nicht auf Heinrich, sondern auf Alfred, seinen älteren Bruder, gestoßen, der im Mai 1895 geboren wurde und im Juni 1975 in Ostberlin verstorben ist. Einer dieser Glückspilze also – ein deutscher Kommunist, der in Moskau gelebt und überlebt hat, einer, den man sogar auf Wikipedia findet …
Sein Vater hieß Hans Georg Kurella, auch er ist im Netz zu finden. Er war Psychiater und Oberarzt in der psychiatrischen Klinik Brieg, einem kleinen Ort in der Nähe von Breslau in Oberschlesien, und Cesare Lombrosos gelehrigster deutscher Schüler. Lombroso wird oft als »Vater der Kriminologie« bezeichnet, war er doch für seine Ansicht berühmt, dass körperliche Merkmale, wie zu eng am Kopf anliegende Ohren oder eine fliehende Stirn, das Innere, die Verbrecherseele also, widerspiegelten. In seiner Tradition schreibt, wie ich annehme, Vater Hans Kurella das Buch
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