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Meine Mutter, die Gräfin

Meine Mutter, die Gräfin

Titel: Meine Mutter, die Gräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Hirdman
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als Fritz Schledt war:

    »Mein Freund, der Buchhändler und Auslandsdeutsche Gottlieb Wahrmund, hat mich für ein paar Tage in sein Mietshaus in Leipzig eingeladen. Er war während der Inflation Hauseigentümer geworden. Damals konnte man ein Haus für 'nen Appel und 'n Ei erstehen, jetzt ist es für ihn jedoch nur wie ein Klotz am Bein; noch nicht einmal geschenkt will es noch jemand haben.
     Aber Gottlieb Wahrmund hatte seine Freude daran, weil sein Mietshaus ihm einen Unterschlupf bot, als er aus Rumänien ausgewiesen wurde. Dort hatte er nämlich jahrelang eine deutsche Buchhandlung besessen, wenngleich auch er dem aggressiven Nationalismus Platz machen musste. Eines Tages war ihm nichts anderes übriggeblieben, als seine Bücher in Kartons zu verpacken und
mitsamt seiner Frau seiner Wege zu ziehen. Und so kam er nach Deutschland, in die Stadt Leipzig.«

    Wegen Fremdenfeindlichkeit aus Rumänien vertrieben. Ja, was sollte er auch dazu sagen? In Stenbocks Schilderung handelte es sich um ein abrissfälliges Haus: Fünf Stockwerke groß, grau, ohne Elektrizität, mit schiefen Wänden, Ameisen in der untersten Wohnung, fünfundachtzig Mietern und einem einzigen Plumpsklo mit einem Schild an der Tür: Schlüssel zurückhängen! Die Mieter hätten allesamt aus Sozialhilfeempfängern und Arbeitslosen bestanden – nur in Ausnahmefällen sei die Miete beglichen worden.
    Und in so eine Absteige hat Fritz Emilie geführt, sie, die ein eigenes, schönes Haus mit vielen Zimmern und hübschen Möbeln und einem blühenden Garten besessen hatte! Und jetzt – jetzt muss sie jeden Morgen aufstehen und warten, bis das Plumpsklo frei wird, um dann – sich schüttelnd vor Ekel – ihrem Bedürfnis nachzugehen, wie es so schön heißt. Hat sie vielleicht auch noch selbst das Plumpsklo säubern müssen? Also wirklich! Aber vielleicht hat der Graf ja auch übertrieben, er war es schließlich gewöhnt, die Not in kräftigen Farben zu schildern. Aber trotzdem.
    Dort in Leipzig sei es Herrn Wahrmund »mit Mühe« geglückt, die Wohnung des Bürodieners zu ergattern. Die Küche sei zum Schlafzimmer umfunktioniert worden und im Wohnzimmer hätten sich vom Fußboden bis zur Decke die Bücher gestapelt. Und was war mit der eigenen Buchhandlung? Nun, die lag auf dem Dachboden – zu dem man hinbalancieren musste:

    »Und hier oben hatte Gottlieb Wahrmund wahrlich eine stattliche Buchhandlung eingerichtet, hatte er den großen Bodenraum doch durch ein Holzgitter geteilt. Über das Gitter hatte er Bretter genagelt, die von Holzkisten stamm
ten, sodass ein geschlossener Raum daraus entstanden war. In der Mitte stand der Schornstein, gegen den ein uralter, grüngelber und von Holzwürmern zerfressener Bauernschrank gelehnt war, der jeden Moment zusammenzufallen drohte.«

    Die Bücherregale bestanden aus sechs aufeinandergestapelten Kisten, und auf einem aus Kisten und Brettern zusammengezimmerten Schreibtisch und zwei kleinen Konsolen waren einladend Bücher ausgelegt. Eine kleine, armselige Kopie ihrer Radautzer Buchhandlung. An den Wänden hingen dunkelgraue Tapeten, die kurz vorm Herunterfallen waren. Auf einem Tisch war ein stilvolles Waffenarrangement zu sehen: Ein silberner Schild und gekreuzte Schwerter mit einer Pistole aus dem Dreißigjährigen Krieg. Und Wahrmund verschont »Peter« nicht mit seinem Lieblingsthema: Wie findet das Buch den Weg zum Leser? Diese Fülle an Büchern, die alle Gebiete des Lebens abdecken – wie ? Peter spielt seine Rolle und breitet in einer hilflosen Geste die Arme aus – er habe keine Ahnung. Eben, und da käme der Buchhändler ins Spiel! Er könne Rat erteilen! Aber wisse er überhaupt ausreichend Bescheid? Es gehe schließlich darum, das richtige Buch an den richtigen Mann zu bringen, nicht wahr? Und genau da sei der Einblattkatalog unerlässlich!

    »Also, gib Acht: Ein (großer) gut durchdachter Bogen Papier, auf dem – zusammen mit einer kurzen Übersicht zu jedem Gebiet und anfangs einem dazu passenden, schönen Bild – einfach Bücher aufgelistet sind: Und schon hast du die simpelste und preiswerteste Reklame und Information, die du dir denken kannst.«

    »Du kennst doch sicher diese dicken Fachbuchkataloge? Das sind die schweren Geschütze. Daraus mache ich eine leichte
Kavallerie, die sich überall hinbewegen kann – dorthin, wo es keine Leser gibt, dorthin will ich! Allerorts soll diese leichte Kavallerie reisen und ihre Blätter austeilen: an Schulen, Cafés, Geschäfte, Büros,

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