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Meine Mutter, die Gräfin

Meine Mutter, die Gräfin

Titel: Meine Mutter, die Gräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Hirdman
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System viel zu gefährlich. Nicht, dass ich jemals Angst vor einer Gefahr gehabt hätte, ich habe sie ja gar nicht erst suchen müssen – aber ich kann Dir versichern, dass das Leben sowieso genügend Gefahren zu bieten hat, und wenn man
seine Kräfte zu früh verschwendet, hat man vielleicht nicht mehr genug davon, wenn es wirklich ernst wird …«

    Aber Charlotte ist eine Kommunistin – und zwar unter der Leitung von »Polleiter« Kurella, Verzeihung, Albert Schief (sein Deckname). Jetzt ist sie an der Reihe, das kommunistische Rasterdenken zu verinnerlichen, jetzt soll sie hinaus in den Kampf. Etwas tun. Sie verabscheut sie, diese Menschen, die mit der Masse schwimmen, diese Nazis. Ich kann mich noch daran erinnern, wie erschüttert und den Tränen nahe sie war, als sie im Fernsehen ein Bild aus Maos China brachten, auf dem Menschen zu lebenden, wogenden Bildern aufgestellt wurden, denn so könne man doch keine Menschen behandeln, so, als seien sie Dinge. Und ich kann mich ebenfalls noch daran erinnern, dass sie Schwarz trug, um gegen das Apartheidsregime in Südafrika zu protestieren, und wie sie resigniert und gereizt zur Kenntnis nahm, dass Papa auf seiner KOO -Orangenmarmelade aus Südafrika bestand, die jeder Rechtschaffene boykottierte. Ich nehme an, dass ich wie üblich Papas Partei ergriffen habe – obwohl ich gar keine Orangenmarmelade mochte.
    Der Reichstagsbrand
    Es war nicht von Papen, der erneut zum Reichskanzler ernannt werden sollte, wie Charlotte und so viele andere am 27. Januar geglaubt hatten – es war Hitler. Und das veränderte alles.
    Am 23. Februar 1933 schreibt sie ihren letzten Brief aus Berlin an Emilie: Ach, sie entschuldige sich ja so, dass sie nicht schon früher geschrieben habe, aber hier hätte die Grippe gewütet – alle seien krank und Olga von Ranke sei gestorben, ob Emilie sie einmal kennengelernt hätte? Vor zehn Tagen sei Olga noch kerngesund gewesen, da hätten sie sich auf einer Gesellschaft gesehen. Ach, sie entschuldige sich ja so,
dass sie so schreibfaul gewesen sei, aber sie habe auch die Zeit, die Heini freigehabt hätte, voll auskosten wollen, denn er sei so eingespannt und sehe so elend aus und schlafe nur unregelmäßig. Geld hätten sie zur Abwechslung einmal genug, sodass sie ihnen nächste Woche auch zehn Mark schicken werde, aber politisch, ja politisch sehe es schlecht aus, und Heini sei mit tausend Dingen beschäftigt, Dinge, von denen sie größtenteils nichts erfahre. »Also lebe ich ein ruhiges Leben – aus mir ist eine entsetzliche Stubenhockerin und eine richtig alte Tante geworden, hoffe nur, dass bald der Sommer kommt … Obwohl – was wird bis dahin noch alles passieren?!
    Alles ist so schwierig geworden – Alexander wirkt furchtbar deprimiert, er hat keine müde Mark mehr und die Zeitungen, in denen er veröffentlicht hat, sind verboten. Er darf auch nicht länger im Hörfunk sprechen, niemand will seine Lesungen besuchen, sein Roman ist abgewiesen worden und seine Freundin Eda liegt mit einer furchtbaren Erkältung im Bett, sie kommt wirklich nicht mehr hoch – ja, allen Menschen, die ich liebhabe, geht es schlecht. Wie gesagt – all das mit anzusehen, während man hilflos zusehen muss und einem die Hände gebunden sind, ist so, dass man das große Kotzen kriegen könnte.«

    Vier Tage später steckte der Holländer Marinus van der Lubbe den Berliner Reichstag in Brand; ein junger, 1909 geborener Mann mit einer schweren, von Armut geprägten Kindheit, der nach einem Arbeitsunfall und wegen eines daraus resultierenden Augenleidens seinen Beruf nicht weiter ausüben konnte. Er war zwar kein Kommunist mehr, aber noch immer ein Sozialist und Antifaschist. Als Hitler an die Macht kam, begab van der Lubbe sich entsetzt nach Berlin, um vor Ort zu sehen, was man dagegen unternehmen konnte. Als er begriff, dass weder die Sozialdemokraten noch die Kom
munisten protestieren wollten – ja, da kam er auf die Idee, selbst das Zepter in die Hand zu nehmen und den Reichstag anzuzünden. Wozu das seiner Meinung nach führen sollte – ich kann nur raten. Vermutlich dachte er, dass die Arbeiter dann zu den Waffen greifen und Hitler stürzen würden.
    Das Gegenteil war jedoch der Fall, spielte diese heroische Tat doch Hitlers Interessen direkt in die Hände: Ein einziges Individuum, noch dazu so ein armer Hund könne doch unmöglich in der Lage gewesen sein, allein so ein riesiges Gebäude in Brand zu setzen! Das sei ein Putsch der Kommunisten, die mit

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