Meine Mutter, die Gräfin
Gewalt versuchten, die Macht zu erobern! Jetzt musste der greise Hindenburg doch seiner Forderung stattgeben, die sogenannte Reichstagsbrandverordnung – die Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat vom 28. Februar 1933 – zu erlassen, die die wichtigsten demokratischen Grundrechte außer Kraft setzte und ihm außergewöhnliche Machtbefugnisse erteilte. Rein formell hatte er damit einen legalen Grundstein für seine Diktatur gelegt.
Die Kommunisten beschuldigten ihrerseits mit großem Erfolg die Nazis, selbst hinter dem Brand zu stecken. Das war einer von Willi Münzenbergs großen Auftritten in der Geschichte – aus seiner Propagandazentrale in Paris veröffentlichte er das sogenannte »Braunbuch«, in dem die Nazis als die eigentlichen Drahtzieher des Anschlags hingestellt wurden. Und im Gerichtsverfahren gegen van der Lubbe und eine Reihe anderer Kommunisten – vor allem gegen Georgi Dimitrow – gelang es Dimitrow, einen Propagandasieg einzufahren, indem er Göring in die Rolle des Angeklagten drängte: »Haben Sie Angst wegen dieser Fragen, Herr Ministerpräsident?« Dimitrow und die übrigen (Blagoi Popow, Wassili Tanev und Ernst Torgler) wurden tatsächlich auf freien Fuß gesetzt – während der arme van der Lubbe hingerichtet wurde.
15. März 1933
Zwei Wochen später brach auch für die Bewohner der »roten Insel« die Welt zusammen. Die Schauspielerin Steffie Spira, ein Mitglied der Truppe 31 , schildert es so:
»Morgens, ganz früh, es war vielleicht 6 Uhr, es war der 15. März, gerade wurde es hell, da brüllte es da unten: ›Fenster zu! Fenster zu!‹ Ich guckte runter und sah, da war der ganze Block umstellt von SA -Leuten. Das war nun wirklich nicht sehr schön. Ich wußte schon, das endet nicht gut, aber wir konnten gar nichts mehr machen. Es klopfte gleich an die Tür, so ein Gebumse, und zu meiner großen Überraschung: ein SA -Mann davor und ein Polizist, was mich wunderte, und: ›Rein, los, los! Na, außer Büchern hab'n Sie wohl nichts? Na, das sind die Richtigen!‹ Wir hatten wirklich wenig Möbel, aber reichlich Bücher, und die schmissen sie gleich auf die Erde, und dann sahen sie unter's Bett, und da lag unsere rote Fahne, und die war mit Hammer und Sichel. Da waren sie ganz glücklich, daß sie das gefunden hatten. ›Naja, wir wissen ja, wer hier wohnt!‹ Und der SA -Mann griff meinen Mann und, ohne daß er noch etwas zu mir sagen konnte, seh' ich ihn die Treppen runterrutschen.«
So fing die große Razzia gegen die Künstlerkolonie an. In der Nazizeitung Völkischer Beobachter wurde der für die Nazis erfolgreiche Tag folgendermaßen zusammengefasst:
»Heute Vormittag wurde durch eine Bereitschaft Schutzpolizei unter Führung von Oberleutnant Olze der große Block am Südwestkorso in Wilmersdorf, der den schönen Namen ›Künstlerkolonie‹ führt, abgeriegelt und durchsucht. Dieser Gebäudekomplex beherbergte seit seinem Bestehen eine Auslese übelster Intellektueller und Kom
mune-Blutredner, die dort in luxuriösen Wohnungen, im Schutze eisenbeschlagener Türen, ihre Haßgesänge gegen das erwachende Deutschland verfaßten. Die Durchsuchung ergab eine Fülle von verbotenen Schriften. Anderthalb Lastwagen konnten gefüllt werden. Dazu fand man mehrere Waschkörbe voll Schußwaffen mit der nötigen Munition; die Durchsuchung dauerte fünf Stunden und wurde bis ins kleinste ausgeführt. Man fand auch im stillen Kämmerlein versteckt einige ganz prominente ›Führer‹ der Kommune vor. Der ›edle‹ Dichter Peter Martin Lampel wurde geschnappt und der berüchtigte Redakteur Zadek wurde in seinem Wirkungskreis aufgestöbert. […]
Nun ist ein Ende gemacht worden mit ihnen – die schönen Tage sind vorbei. Beim Abmarsch der Bereitschaft sangen die Polizeibeamten mit erhobener Rechten das Horst-Wessel-Lied.«
Und die verbotenen Bücher wurden verbrannt und die Menschen verhaftet, und wie, ja wie erging es Charlotte und Heini? Dass Kurella auf der Liste der Nazis ganz oben stand, verstand sich schließlich von selbst – und ganz recht, ihre Wohnung wurde durchsucht. Aber weder Charlotte noch Heinrich waren gerade dort. Wer dort war, war Alexander Stenbock. Ewig dieser Stenbock! Und er erzählt:
Ein »guter Instinkt« hätte ihn dazu getrieben, seine Wohnung schon im Dezember 1932 aufzugeben und seine Bücher und Besitztümer bei Freunden und Bekannten unterzubringen; dann sei er ins Ausland gereist und hätte seine – zumindest für Florence
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