Meine Mutter, die Gräfin
dahinter in Klammern Neumann gestanden haben.
Dazu habe ich Folgendes zu sagen: Meine Verhaftung erfolgte am 7. Juni 1934, wobei dieses Notizbuch von der Polizei zusammen mit Briefen und Fotos beschlagnahmt wurde. In diesem Notizbuch befanden sich außer persönlichen Notizen einige Vornamen, Spitznamen und Anfangsbuchstaben von Namen.
Nun zu den einzelnen Fällen: Soweit mir bekannt ist, wurden Dr. Bloch und seine Frau erst einige Monate nach meiner Verhaftung und Ausweisung ausgewiesen. Die Polizei fragte mich bei ihren Verhören nach Dr. Bloch und seiner Frau, die ich entsprechend vorheriger Vereinbarung für den Fall einer Verhaftung als persönliche Bekannte angegeben hatte, da ich offiziell mit meinem richtigen Namen gemeldet war, und zwar nicht als Emigrantin. Ebenso hatte Genosse Eichenwald Dr. Bloch bei der Polizei genannt.
Es stimmt, dass die Namen Els und Erni in meinem Notizbuch vorkamen, da wir uns einige Male gesehen haben, Ausflüge miteinander gemacht haben und dergleichen. Auch sie gehörten zu dem Bekanntenkreis, mit dem ich offen verkehrt habe, allerdings hat mich die Polizei nicht nach ihnen gefragt.
Dass in meinem Notizbuch der Name Heinz und dahinter in Klammern Neumann gestanden haben soll, ist völlig ausgeschlossen.
Ich möchte Euch bitten, mir mitzuteilen, ob Ihr es für notwendig erachtet, auf Grund des oben Dargestellten eine Untersuchung vorzunehmen.
Mit kommunistischem Gruß
Charlotte Stenbock«
So handelt also eine Kommunistin. Steht für das, was sie getan hat, ein. Ist sachlich. Erzählt Genosse Müller – umständlich und ausführlich – alles. Flunkert nur ein bisschen. Zeigt auf andere. Sie macht sich.
Prag – Warten auf Utopia
Schmählich wurde sie also im Sommer 1934 nach ein paar Tagen Haft aus der friedlichen, langweiligen und sicheren Schweiz geworfen. Oder musste sie dort drei Wochen im Ge
fängnis sitzen? Hatte sie überhaupt Zigaretten? Wusste Heini, wo sie sich befand? Hatte sie Angst? Und waren sie freundlich zu ihr? Wurde sie von Polizist Iseli verhört, demselben Mann, der auch Eichenwald gefasst hatte, oder von Leutnant – und Nazi? – Anman, der Eichenwald gegenüber grob ausfällig geworden war und ihm gedroht hatte, ihn zurück nach Deutschland zu schicken, weil er Jude war? Aber zu ihr werden sie doch zuvorkommender gewesen sein? In ihrer Familie gab es schließlich keine jüdischen Ahnen, und sie sah ja auch so aristokratisch aus – sie, die Gräfin, wurde bestimmt noch recht leidlich behandelt.
Dann wird sie freigelassen. Ob er dasteht und auf sie wartet? Oder einer der anderen Genossen aus dieser von Verschwörern als Zufluchtsort gewählten Stadt Zürich? Vielleicht Mama Kirschbaum? Mama Kirschbaum, die ihr ein ordentliches Butterbrotpaket für die Zugreise von Zürich in die Tschechoslowakei nach Prag zugesteckt hatte.
Prag – jene beiden Sommermonate in Prag sind trotz allem eine willkommene, von Erwartungen geprägte Auszeit – endlich! Los! Endlich geht's weiter – bald erwartet sie das wahre, das unbeschwerte Leben in Moskau. Denn das ist ihr Ziel, sobald Heini, der vorausgefahren ist, die Formalitäten geregelt hat. Womöglich kann sie jetzt endlich ihr Alltagsleben mit dem weltbewegenden Leben in Einklang bringen? Unterschlupf findet sie bei Freunden und Bekannten – in der Großstadt Prag wimmelte es nur so vor Exilkommunisten, die hin- und herreisten, meistens hin – nach Moskau. War die Tschechoslowakei zu jener Zeit doch das toleranteste, gastfreundlichste und hilfsbereiteste Land in ganz Europa. Dort lebte Franz Carl Weiskopf, und ich könnte schwören, dass sie sich kannten – er war Autor, Mitglied im Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller, hatte als Redakteur für Berlin am Morgen gearbeitet, war 1928 nach Berlin ge
kommen und wie sie 1933 von dort geflohen. Auch Heinrich Süßkind lebte in Prag, seine Frau stammte von dort; er war eine der Hauptfiguren des alten »Versöhnler«-Kreises und ein guter, alter Freund von Heini. Des Weiteren lebten dort Carola Neher, die Schauspielerin, die sie als Polly bei der Uraufführung von Brechts Dreigroschenoper 1928 gesehen hatte, Zenzl Mühsam und Olga Meese – ja, hier trafen sie sich, Freunde und Bekannte im Exil, während sie auf die Einreisegenehmigung in die Sowjetunion warteten.
Die Sonne scheint, es herrscht eine Hitzewelle und sie geht schwimmen, sonnt sich, speist – und wartet.
Am Dienstag, den 10. Juli haben Emilie und sie sich das letzte
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