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Meine Mutter, die Gräfin

Meine Mutter, die Gräfin

Titel: Meine Mutter, die Gräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Hirdman
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beide, sie und Heini, lebten und arbeiteten.
    Nur sie war dort gemeldet, sodass Genosse Kurella mithilfe ihrer Vermieterin entkommen konnte. Aber Charlotte nahmen sie mitsamt ihren Fotos, ihren Briefen und ihrem kleinen braunen Notizbuch mit.
    Im Verlauf des Tages wurde auch Fritz Eichenwald – der Mann, der mit Lissy verheiratet war – ergriffen. Er hatte Charlottes und Heinis Wohnung aufgesucht, um eine »dienstliche Nachricht von den Genossen Stein [Eheleute; Redakteure der Rundschau ] zu überbringen«, als er den Polizisten nichts Böses ahnend direkt in die Arme lief. Das von der Schweizer Polizei anberaumte Verhör hätte er mit heiler Haut überstanden, wenn da nicht dieses Notizbuch gewesen wäre, das sie nicht versteckt hatte oder besser überhaupt nicht hätte führen dürfen. Und Namen darin aufzulisten! Eine feine Kommunistin ist das! Denn darin war alles verzeichnet, wie im Protokoll der Schweizer Polizei nachzulesen war. Und alles waren Namen, Namen und nochmals Namen und Namenskürzel. Darunter Fritz und die Ehepaare Bloch und Ascher.
    Das sind mir feine Konspirateure! Diese Kommunisten im Exil – wie dilettantisch! Sie hatten sich auf das Desinteresse der Schweizer Polizei verlassen, hatten noch nicht einmal die grundlegendsten Vorsichtsmaßnahmen getroffen!, erzählte Eichenwald, als er fast zwei Jahre später in einem
novembertristen Moskau in Zimmer 35 in der Rabotschajastraße 6 zu dem Ereignis verhört wurde.
    Nein, denke ich, das haben sie wohl nicht getan. Jedenfalls nicht Genossin Stenbock. Ich bin im Besitz eines kleinen, entzückenden Briefes von ihr, den sie an ihren Freund »Peter« geschickt hat. Darin dankt sie ihm überschwänglich für die Novelle über ihren Vater und beklagt sich, wie viel Schularbeiten ihre kleine Frida aufbekäme. »Es ist enorm, was die Schule für Ansprüche stellt. Ich helfe ihr bei den Schularbeiten und muss gestehen, dass ich sehr viel dabei lerne – und es interessiert mich auch. Jedenfalls sind diese Schulaufgaben für das spätere Leben sehr wichtig, und es schadet nichts, wenn man sie gründlich beherrscht.«
    Für die, die mit konspirativem Denken genauso wenig vertraut sind wie ich, sollte ich vielleicht erläutern, dass »Peter« für Alexander steht; dass mit der kleinen Frida Heini gemeint ist, muss ich bestimmt nicht erst sagen, oder?
    Dieses verfluchte Notizbuch! Warum hat sie es bloß behalten? Mist, Mist, Mist muss sie vor sich hingemurmelt haben – oder vielmehr ihre unverständliche Aufzählung Tszanjad ichtnjawitch etwas etwas verflixt und zugenäht . Vielleicht quält sie ja am meisten, dass sie andere in Gefahr gebracht hat? Ob es ihr Fehler war, dass Fritz und Lissy und die Blochs und die Aschers ebenfalls ausgewiesen wurden? Verfluchtes kleines Buch – das wird sie noch lange verfolgen und dazu führen, dass sie selbst versucht, Maßnahmen zu ergreifen, damit es nicht gegen sie – oder ihn, Heini – verwandt werden kann. Im Winter 1935, als sie schon seit ein paar Monaten in Moskau wohnt, schreibt sie deshalb diesen Brief an »Genosse Müller« alias Brückmann; der Mann, der über alle deutschen Emigranten Bescheid wusste und seine Informationen an das NKWD weitergab, wie wir unten sehen werden. Also greift sie zu Stift und Papier, wahrscheinlich auf Aufforderung von Heini.

    Es ist besser, wenn du selbst das Gespräch darauf bringst, viel besser, als wenn Houtermans das ausplaudert, glaub mir. Und gib alles zu, aber erwähne, dass Blochs erst lange nachdem du verhaftet worden bist, ausgewiesen wurden und dass Heinz' Name nicht im Buch stand.

    Und sie schreibt:
    »Moskau, den 9. Februar 1935
    An die Deutsche Sektion
    zu Händen des Genossen Müller

    Vor einigen Tagen besuchte mich der Genosse Fritz Houtermans und erzählte mir Folgendes:
     Auf seiner Reise nach Charkow habe er in Prag den Genossen Fritz Eichenwald und seine Frau, die Genossin Lissy, getroffen. Die Genossin Lissy hätte ihm erzählt, dass Dr. Bloch, Wien, und seine Frau auf Grund von Notizen, die sich in meinem, bei meiner Verhaftung in der Züricher Polizei beschlagnahmten Notizbuch befunden hätten, aus der Schweiz ausgewiesen worden seien. Ferner habe Genosse Houtermans berichtet, dass Genosse Ascher und seine Frau ebenfalls aus Zürich ausgewiesen worden seien, und zwar hätte die Polizei als Begründung angegeben, dass ihre beiden Vornamen Els und Erni ebenfalls in meinem Notizbuch gestanden hätten. Außerdem soll in diesem Notizbuch der Name Heinz und

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