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Meine Mutter, die Gräfin

Meine Mutter, die Gräfin

Titel: Meine Mutter, die Gräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Hirdman
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– Jena
      7 – Berlin
      8 – Stenbock
      9 – Aufbruch-Kreis
    10 – Scheringer
    11 – Rote-Hilfe-Arbeiten
    12 – Leipzig
    13 – Gauleiterin des BDM

    Das nachzuvollziehen ist nicht allzu schwer: Charlotte Stenbock-Fermor, die sich in Paris aufhält, ihre Kindheit in England und Radautz verbracht hat, ein Jahr in Weimar gewesen ist, in Jena gearbeitet und sich dann in Berlin niedergelassen hat, heiratet Stenbock – einen der Federführenden im Fall Scheringer, der vom Nazi zum Kommunisten wurde, der dem Aufbruch- Kreis angehörte und für die Zeitschrift Aufbruch schrieb. Sie wird Mitglied der Roten Hilfe, und schließlich sind sie darüber informiert, dass Fritz und Emilie nach Leipzig ziehen – so weit, so gut.

    Aber wofür steht Punkt 13? Auf wen bezieht er sich? Auf Leni?! Meine kleine Tante Leni, das Vögelchen. Gauleiterin in der nationalsozialistischen Mädchenorganisation BDM , dem Bund Deutscher Mädel. Leni, die ihr Haar zu Gretchenzöpfen geflochten hat, Leni mit ihrer altdeutschen Handschrift, mit ihren Dirndlkleidern. Leni mit ihren dunklen Augen, Leni, die auf Fotografien immer nur am Rand zu sehen ist, im Schatten, zuschauend. Leni, die in Leipzig kurz vorm Verhungern ist, während ihr Vater in Deutschland hau
sieren geht, um seine Buchhändlerträume zu verwirklichen. Leni, die eine Mutter hat, deren Motto es ist, das Leben so zu nehmen, wie es kommt, tout passe , die aber Magenschmerzen hat, deren Haare immer weißer, deren Augenringe immer tiefer und dunkler werden. Tritt Leni etwa aus Trotz in den BDM ein? Aus stillem Protest gegen ihre kommunistische, umtriebige, schöne große Schwester, die alles hat, während sie – ja, was hat sie? Oder tritt sie aus Verantwortungsbewusstsein ein – kann Mama doch nicht allein lassen? Oder um ihrem Vater eins auszuwischen, der ihnen dieses Elend eingebrockt hat, weil er trotz seiner konservativen Gesinnung Hitler verabscheute? Aus strategischen Gründen? In Leipzig leben – pardon, überleben? Eine Gelegenheit, um an Arbeit, Essen, Geld zu kommen? Weil sie daran glaubt? Davon begeistert ist? Leni hat nie ein Wort darüber verloren, hat es mir gegenüber nie zur Sprache gebracht – und ich habe sie auch nie danach gefragt: Was hast du eigentlich von Hitler gehalten, Leni? Vom Nationalsozialismus? Von der Judenvernichtung?
    Im Seniorenheim in der Hamburger Blumenstraße sitzen sie in dem lichtdurchfluteten Speisesaal, sitzen auf der Schwelle des Todes, während ich versuche, nicht hinzusehen, wie sie den verflixten, wässrigen Spargel in sich hineinschlürfen, denn schließlich ist Frühling und alle Deutschen essen weißen Spargel, und ich, ja ich habe es endlich geschafft, zu ihr ins Seniorenheim zu fahren, und lege nun also täglich die Strecke zwischen meiner Kaschemme und der Blumenstraße zurück. Einmal lade ich sie in ein Restaurant ein, um dem Geruch von Tod zu entgehen; ich frage mich, was sie wohl während dieses schrecklichen Krieges gemacht haben und wie viele SS -Männer und Gauleiterinnen des BDM wohl noch unter den Spargel in sich hineinschlürfenden Alten sitzen mögen. Überlebenskünstler, allesamt. Aber welche Rolle spielt das heute noch?

    Doch weg von Punkt 13, zurück zu den Chiffren. Die Punkte 14-17 decken ihr Leben in Berlin ab – die Begegnung mit Kurella, der in Moskau gewesen ist oder sich sogar noch dort aufhält, seine Parteimitgliedschaft und ihren Wohnort in der Künstlerkolonie:
    14 – Kurella
    15 – in Moskau
    16 – Parteimitglied
    17 – Künstlerkolonie am Breitenbachplatz

    Es geht weiter mit dem Leben im Exil in Zürich: Stenografin bei der RUNA . Namen werden genannt: Michael, Stein mit Frau, Alfred, Pinkus, Frau Humbert-Droz, und die dramatischen Ereignisse zusammengefasst: die Hausdurchsuchung, die Engländerinnen, Fritz Eichenwald, die Verhaftung, unzulässige politische Aktivität, Ausweisung, Prag.
    Doch dann richten sich die Fragezeichen auf, stellen sich auf ihre schwarzen Glieder und wachsen gleichsam in den Himmel:
    33 – die Westuniversität
    34 – die Abendschule gestattet
    35 – Verlag der ausländischen Arbeiter
    36 – »Iskra Rewoljuzii«
    37 – Parteimitglied Hess
    38 – Sowjet-Bürgerschaft
    39 – den Schriftstellern
    40 – »Das Wort«
    41 – alle verhaftet
    42 – Ottwald und Frau
    43 – Süßkind
    44 – Werner Hirsch
    45 – Viktor – App.
    46 – Karola (Neher, sic)

    Hinter diesen Ziffern verbirgt sich ihr

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