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Meine Mutter, die Gräfin

Meine Mutter, die Gräfin

Titel: Meine Mutter, die Gräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Hirdman
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allein der Langeweile und dem Mangel an Kunden zuzuschreiben gewesen sein dürfte, sondern auch dem Bierpicheln und den langen Nächten: Da geht er mit seinem Bierkrug von Wirtschaft zu Wirtschaft –
ist das bayrische Bier nicht vortrefflich! –, löscht seinen Durst und ertränkt den Kummer seines jungen Lebens.

    Aber, erzählt meine Schwester weiter, eines Tages kam ein Varietétheater in das Städtchen Hof. Der junge Buchhändlergeselle war hellauf begeistert: Zum Ensemble gehörten ein paar schöne junge Damen, die in Ulanenuniformen kostümiert waren, die ritten und mit Lanzen hantierten, und er war so ergriffen von diesen Uniformen (und den Damen), dass er seine Arbeit in der Buchhandlung für ein paar Jahre an den Nagel hing, um in Hannover zum Militär zu gehen.
    »Steht das wirklich so da«, frage ich Eili, »dass das wegen der Uniform war?«
    »Ja, wirklich«, bekräftigt Eili.

    Drei Jahre lang, vermutlich bis zum Ende seines militärischen Pflichtdienstes, absolvierte der junge Fritz also beim Regiment in Hannover seinen Militärdienst, trug sein Bajonett, seine Uniform, lernte Reiten und den Pennalismus zu ertragen. Drei harte Jahre sollten das werden, damals, zwischen 1898 und 1901. Und in der Zeit schwängerte er auch ein Mädchen. Sie »pflückten Blaubeeren« – mit Folgen, wie Fritz es in seiner Haft formuliert. Doch obwohl es Liebe gewesen sei, hätten sie sich trennen müssen – Standesunterschiede, interpretieren wir. Und das Kind?
    Dann trieb ihn sein unruhiger Geist nach Russland, sprich Livland, wo er zuerst in einer Buchhandlung in Riga arbeitete und dann, 1903, nach Dorpat kam – »die schönsten Jahre meines Lebens – leider zu wenige«. Er beschreibt die vom Fluss Emajõgi in zwei Teile gegliederte Stadt, die Universität, die der Stadt ihren Charakter verliehen hat, die Hauptstraße, die parallel zum Fluss verlief und in der die Buchhandlung E. Bergmann lag – E. wie Einar – und wo Fritz Arbeit bekommen hatte. Es handelte sich um eine kleine, schmale
Buchhandlung samt Buchdruckerei, wo er eines der Zimmer zur Hofseite bewohnte und die Magd Lisa um ihn herumscharwenzelte – und nicht nur sie. Zum Haushalt gehörte auch Fräulein Bergmann, eine ältere Schwester von Einar, und so ergeht sich Fritz in einer kleinen philosophischen Ausführung: »Es ist eigentlich merkwürdig, dass sich meiner – wohin ich auch kam – oft solch ältere, unverheiratete Damen angenommen haben. Und überall dasselbe Schauspiel, dieselbe liebevolle Zuwendung für meine nahezu undankbare Person. Geradezu rührend und bezaubernd war das.«

    Soldat Fritz mit seinem Bierkrug.

    So sei es auch in Riga gewesen, wo die alten Schwestern Bergner ihm geholfen hatten, als er sich in einem kleinen finanziellen Engpass befunden hatte, »damit ich nicht betrübt sein sollte«.
    Wenn man so die Aufnahmen studiert, die noch aus jener Zeit existieren, ist das nicht weiter schwer zu verstehen: ein
gutaussehender, träumerisch veranlagter junger Herr, ein deutscher Kleinbürger, der nach dem Bildungsbürgertum strebt, der sich schwärmerisch danach sehnt »vollkommen« zu sein, ohne sich von einer schlichten Männlichkeitsuniform daran hindern zu lassen. Im Deutschland des 19. Jahrhunderts gab es unter der deutschen Bildungselite eine akzeptierte, androgyne Männlichkeit, die dem Ideal nacheiferte, »vollkommen« zu sein: männlich, empfindsam, stark, schwach, träumerisch, entscheidungskräftig und so weiter – androgyn eben. Womit sie allerdings in exklusiven männlichen akademischen Kreisen blieben – Frauen waren in diesen schwärmerischen Zirkeln selbstverständlich nicht zugelassen. Und was blieb den Frauen da noch, frage ich mich. Anscheinend nichts Nennenswertes; nur »Selbstverständlichkeiten«, wie, dass sie ihre Kinder gebaren, das Essen kochten – richtig deutsches Essen mit Sauerkraut, fetten Würsten, Linsen, Entenbrust und Kartoffelsalat – und das Haus sauber und rein hielten. Das Übliche eben.

    Nun waren in Dorpat schon zwei andere Buchhändler ansässig, sodass bei Bergmanns hart gearbeitet werden musste, um Schritt für Schritt neue Kunden für sich zu erobern, ja, sie sich schlechtweg zu Freunden zu machen und ihre Wünsche vorherzusehen – kurz gesagt: den Buchhandel zu einem Teil der »Schönen Künste« zu machen. So baut Fritz sich einen treuen Kundenkreis » aus den Reihen der baltischen Gesellschaft « und der Universität auf und führt mit ungebrochener Leidenschaft seine

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