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Meine Mutter, die Gräfin

Meine Mutter, die Gräfin

Titel: Meine Mutter, die Gräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Hirdman
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schwerlich für die Arbeit in Deutschland von Nutzen sein könne, weil sie nur sehr geringe organisatorische Erfahrungen besäße; und zum Zweiten, weil sie sich Informationen zufolge während ihres Schweiz-Aufenthaltes äußerst »unkonspirativ« verhalten hätte. Die Polizei hätte ein Notizbuch beschlagnahmt, in dem sie ein paar Namen markiert hätte. »Die letzte Sache ist noch nicht geklärt. Ich denke aber, dass der erste Grund genügt, St[enbock] nicht zur Tagesschule zu kommandieren. Müller.«
    »Müller« wusste mehr (wie aus einem anderen Dokument
in der Akte 6433 hervorgeht), auch wenn er es mit den Details nicht so genau nimmt: Dass sie von kleinbürgerlicher Herkunft war, dass sie mit dem ehemaligen Nazi ( so, so ) Graf Stenbock-Fermer ( falsch geschrieben ) verheiratet war, der sich später der KPD anschloss, dass sie im Dezember 1932 Parteimitglied wurde, dass sie im Februar 1933 mit ihrem neuen Mann, Heinrich Schief (Kurella) in die Schweiz ging, wo sie bei der Rundschau arbeiteten, dass sie Ende 1934 verhaftet wurde ( Falsch, »Müller«, falsch! Falsch! Das war im Juni! ) und dass sie danach in die Sowjetunion gekommen war. Durch »Müller« erfahre ich auch, dass sie im August 1935 einer Genossin Kreps mit einer Verlagsausstellung hilft und dass sie Schriftsetzerin lernen will.
    Das erklärt auch die Nummern 35 und 36 oben: Sie arbeitete bei der Verlagsgenossenschaft ausländischer Arbeiter in der UdSSR und in der Druckerei Iskra Rewoljuzii.
    Sie hat die Abendschule besucht und besucht sie nach wie vor – »habe gute Noten, Mama, und das ich, wo ich in der Schule doch immer so faul war!« –, und sie habe dem Genossen Kreps geholfen und sie bewerbe sich um eine Lehrstelle als Typografin. Schluss mit dem ständigen Maschinenschreiben und der Stenografie, das führt zu nichts. Ich will von Nutzen sein. Von Nutzen. Für etwas existieren. Für jemanden. Will mehr.
    Das Kind ist abgetrieben, Heinrich ist blass – sie ist blass. Diesmal war es eine legale Abtreibung. Bis 1936 durfte man in der UdSSR abtreiben. Dann folgte die »demokratischste Verfassung der Welt«, wie die schwedischen Kommunisten stolz behaupteten, infolge deren Schwangerschaftsabbrüche verboten wurden. Sie leben auf ihrem Zimmer. Es ist Sommer 1935 und sie schmückt es mit Blumen: Arrangiert Rittersporn in einem Tonkrug, tut Nelken in eine runde braune Kanne, Königslilien in ein Glas, lila Schlüsselblumen in ihren silbernen Taufbecher und Teichrosen in eine Schale.
    Es gibt keine Fotos. Und fast keine Briefe. Am 5. April 1935 schreibt sie nach Hause: »Entschuldigt meine Schreibfaulheit – wenn ich mir nur ein weißes Blatt Papier anschaue, winde ich mich vor Unbehagen wegen meiner ganzen Briefschuld – die ich nicht werde einlösen können – Ihr seid die Einzigen, denen ich überhaupt schreibe – es passiert ja auch nichts; der eine Tag geht, der andere kommt: Arbeit, Lernen, gute Freunde und man wird nur älter.
    Ich glaube, dass es das Beste ist, wenn Papa sich selbst an dieses Institut wendet. Aber Mamuschka , vor allem interessiert mich, wie es Dir geht, wie es mit Deiner Gesundheit steht: Du schreibst nichts darüber, stattdessen schweigst Du Dich aus. Ich denke immer mit Sorge an Dich, und jetzt noch die Grippe, und dann, und jetzt wieder Lenis Herz. – Ach Gott, nun sind mir auch noch die Zigaretten ausgegangen, und das bekommt dem Brief überhaupt nicht. Besser also, ich höre auf.«
    Und am 12. Juli, in der sommerlichen Tristesse: »Es will und will nicht Sommer werden; nur im Juni war es eine Woche heiß. Habe Bauchschmerzen. Der Blinddarm? Müsste operiert werden. Will aber nicht. Heini schimpft mit mir, nennt mich feige. Das Leben ist sehr angenehm – es könnte aber noch schöner sein, wenn Heini nicht so viel arbeiten würde. Er sieht immerzu so schlecht aus, er bräuchte mindestens ein, zwei Jahre Nichtstun, um wieder richtig auf die Beine zu kommen.«
    Und dann schreibt sie, einfach so: »Er hat eine achtjährige Tochter, die ihm unglaublich ähnlich sieht und genauso lebhaft ist wie er; sie wird später sicher einmal ganz entzückend, momentan ist sie noch ein rechter Rowdy.« Geboren 1927 mit anderen Worten. 1926 gezeugt. Während seines ersten Moskauaufenthaltes, über den er in seiner autobiografischen Übersicht (siehe S. 333 f.) festgehalten hat: »Ich kam im August 1925 nach Moskau und arbeitete dort bis zum
August 1927 in der Informationsabteilung, zum Schluss als Leiter dieser

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