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Meine Mutter, die Gräfin

Meine Mutter, die Gräfin

Titel: Meine Mutter, die Gräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Hirdman
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August 1936, kommt es zu dem, was später als 1. Moskauer Schauprozess – der erste von dreien – bezeichnet werden soll. Und Sinowjew, Kamenew und 14 andere alte Bolschewisten werden aus ihren Gefängnislöchern gezerrt und erneut des Mordes an Kirow angeklagt – jetzt wegen der Bildung einer terroristischen Vereinigung – ein dehnbarer Begriff, nicht wahr? –, eine Vereinigung, die nicht nur Kirow getötet haben, sondern es vor allem auf Stalin selbst und Seinesgleichen in der Führung abgesehen haben soll. Vom 19. bis 24. August fand der Prozess gegen das trotzkistisch-sinowjewistische terroristische Zentrum statt.
    1935
    Erneut überfliege ich die ziemlich kurze Akte Nr. 6433 über »Frau Kurella«, die mit jenen 97 Punkten anfing. Erneut lese ich ihr »Geständnis« vom 9. Februar 1935 an Genosse Müller (d.h. Georg Brückmann), der für die Kaderabteilung beim EKKI und für die Zusammenstellung und Auswertung der Kaderakten über KPD -Mitglieder zuständig war, diesen peinlichen Brief, in dem sie den Aussagen des Genossen Fritz Houtermans zuvorkommt und in dem sie zugibt, ein Notizbuch besessen zu haben, in dem gewisse Namen standen, aber es nicht ihr Fehler gewesen sei, dass die Paare Bloch und Ascher ausgewiesen worden seien. Und in dem sie beteuert, wirklich nicht in Klammern die Namen Heinz und Neumann notiert zu haben. Es ist der Brief, den ich etwas ironisiert hatte – so handelt also eine Kommunistin! Plötz
lich lese ich das Datum: Anfang Februar 1935. Und wieder lese ich ihre letzten Worte: »Ich möchte Euch bitten, mir mitzuteilen, ob Ihr es für notwendig erachtet, auf Grund des oben Dargestellten eine Untersuchung vorzunehmen. Mit kommunistischem Gruß, Charlotte Stenbock .«

    Schock: Heini, was soll ich tun? Houtermans hat bei mir angeklopft und mich beschuldigt – er hätte Fritz und Lissy, Eichenwalds, du weißt – in Prag getroffen, und will jetzt Müller (Brückmann) berichten, dass es meine Schuld gewesen sei, dass Blochs und Els und Erni ausgewiesen wurden, und er hat auch behauptet, dass Heinz' Name dagestanden hätte. Oh, dieses verfluchte Notizbuch, Heini; was soll ich nur tun? Was, wenn sie mich jetzt rauswerfen? Was können wir tun?

    Und Heini, der gerade einen Artikel von Wilhelm Pieck gelesen hat, in dem er die bolschewistische Wachsamkeit anmahnte, die auf das Schärfste gegen alle Rechten und »Versöhnler« gerichtet sein müsse – Genossen! –, fasst das womöglich als ein Zeichen auf, als einen ersten Hauch des neuen eiskalten Klimas, das aufzieht und auch ihn treffen könnte? Dass sie Probleme kriegen könnten. Sie mit ihrem Notizbuch, er mit seiner Vergangenheit als einer der »Versöhnler«.
    Greift er vielleicht jetzt nach ihren Händen? Fordert er sie jetzt, im Februar, dazu auf, selbst einen Brief aufzusetzen, bevor Houtermans Brückmann trifft? Sagt er jetzt, dass es das Beste sei, ihn, den kleinen Unglückswurm, abzutreiben? Ob – ob Ihr es für notwendig erachtet, auf Grund des oben Dargestellten eine Untersuchung vorzunehmen.
    Aber es kam 1935 zu keiner Untersuchung wegen ihrer Verfehlungen – und zu keinem Kind. Stattdessen schreibt sie im April 1935 erneut an den KPD -Funktionär, dass sie die Tagesschule besuchen und nach Hause, nach Deutschland, zurückkehren wolle. Als kommunistische Widerstandskämp
ferin gegen das NS -Regime ( oder um von ihm wegzukommen, weil er sie gezwungen hat …?):

    »Ich bitte Euch, mir die Erlaubnis zum Besuch der Tagesschule der Westuniversität zu geben. Seit Ende 1932 bin ich Parteimitglied, bin seit Ende August 1934 in der Sowjetunion und besuche seit Mitte Oktober 1934 die Abendschule der Westuniversität. Ich betrachte es als meine Hauptaufgabe, mich für die Arbeit in Deutschland zu qualifizieren, und bin überzeugt davon, dass die Tagesschule mir die beste Möglichkeit dazu geben kann. Hierbei möchte ich ausdrücklich betonen, dass ich selbstverständlich zu jeder Zeit dazu bereit bin, zur Parteiarbeit nach Deutschland zurückzugehen.
    Mit kommunistischem Gruß,
    Charlotte Stenbock
    P . S . Ich bin mit Wohnraum versorgt.«

    Aber »Müller« wusste von ihrem verfluchten Notizbuch und setzte ein paar Tage später ein Schreiben an Genosse Pieck auf, dass er persönlich nicht finde, dass sie zur Tagesschule KUNMZ geschickt werden solle. Sie könne ihre Studien neben ihrer Erwerbstätigkeit ebenso gut an der Abendschule fortführen. Zwei Gründe nannte er seinem Freund Pieck: zum Ersten, dass Genossin Stenbock nur

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