Meine Mutter, die Gräfin
beabsichtige, noch mindestens ein paar Jahre hier zu bleiben. Unser Zimmer ist sehr nett, ich habe mir einige nette Kleinigkeiten dafür angeschafft, und jetzt, im Winter, ist es sehr gemütlich. Im nächsten Sommer wollen wir beide einen schönen Urlaub im Süden verbringen.«
Und dann folgt ein bisschen Klatsch: Dass Tania vor drei Wochen geheiratet habe und jetzt in England lebe, und – »ach, es ist heute genauso schwer wie gestern, das in Worte zu fassen – Gedanken und Gefühle … Habt Ihr etwas von Florence und Alexander gehört?« – Und dann ihr Wunschtraum: »Ich sehne mich nach Deiner Gegenwart – Mama! Du würdest Dich wirklich wundern, wie ich mich verändert habe! Übrigens koche ich ab und zu Essen nach Deinen Rezepten, wie mich das an die alten Zeiten in Radautz erinnert … Allerdings kann ich auf meiner elektrischen Herdplatte keine Pasteten zubereiten. Ach, wenn wir uns doch
nur sehen könnten! Ich würde so gerne wissen, wie Du aussiehst, nun, natürlich auch, wie Papa und Leni – aber am liebsten würde ich mich um Dich kümmern, Dich verwöhnen. Das könnte man hier machen, allerdings bräuchte man zwei Zimmer dafür.
Was ich Euch für das Jahr 1936 wünsche? Alles Gute – keine Sorgen! Musst Du Dich immer noch um den Haushalt kümmern? Schaffst Du das noch? Kannst Du Dir nicht ein paar Wochen freinehmen und Tante Charlotte besuchen? Gib mir ihre Adresse und ich schicke ihr einen Brief und frage sie. Wie lange ist das jetzt her, dass wir zusammen Deinen Geburtstag gefeiert haben? Mehr als zehn Jahre?« – Und dann kommen sie, die zögerlichen Worte:
»Weißt Du, was komisch ist? Ich habe Deinen Pessimismus und eine gewisse Resignation von Dir geerbt (leider ohne Deine Flinkheit). Darüber kann sich H. immer schwarz ärgern, weil ich nämlich aus Angst vor Enttäuschungen nicht für Pläne und Wunschträume zu haben bin. Allerdings habe ich weniger sachliche Gründe für solche Stimmungen als Du, es ist bei mir bloß eine dumme Veranlagung, über die ich mich ärgere.«
Ein anderer Brief wurde einige Tage vor dem Weihnachtsabend 1935 in der Reginenstraße 14 verfasst. Vater Fritz schreibt an Lottie in Moskau (er hat doch tatsächlich einen Durchschlag davon gemacht, sonst hätte ich ihn nicht):
»Es ist schon wieder Monate her, dass wir von Dir gehört haben und das macht einen immer ein bisschen unruhig. Wir hoffen jeden Tag darauf, wieder ein Lebenszeichen von Dir zu bekommen. Hier läuft derweil alles so weiter wie bisher. Ich war ein paar Mal in Berlin und habe bei der Gelegenheit auch unseren gemeinsamen Freund Alex
besucht, der jetzt mit einer Holländerin zusammenwohnt. So weit geht es ihm nicht schlecht, und er erkundigte sich sehr lebhaft nach Dir und Deinem Wohlergehen. Er hat wieder Verschiedenes geschrieben und rechnet damit, dass bald etwas davon veröffentlicht wird. Soviel ich beurteilen konnte, haben die Erfahrungen der letzten Jahre ihn reifer gemacht. Ein Bild von Dir, das er mir zeigte, einen Rohdruck, der von einer Firma in der Matthäikirchstraße gemacht worden war, hätte ich sehr gern für Mama gehabt, da es mir ganz außerordentlich gefiel. Leider existiert die Firma nicht mehr, und nun will ich ihn bitten, mir das Bild zum Kopieren zu schicken.
Ich hatte für ein paar Monate das Vergnügen, jede Woche einmal im Rundfunk zu sprechen und die Neuerscheinungen der Woche bekanntzugeben. Leider ist das jetzt vorbei und wird vielleicht erst im Oktober wieder aufgenommen. Hoffentlich glückt es mir unterdessen, mit meiner Katalogsache weiterzukommen. […]
Mama ist seit einiger Zeit in ärztlicher Behandlung. Sie hat mit dem Magen zu tun und starke Schmerzen. Leider ist ihr nicht groß zu helfen, da ihr Befinden mit den Wechseljahren zu tun hat.
Aber es ist nicht schön, sie so leiden zu sehen. Sie tut, was sie kann, um dagegen anzugehen, aber das geht natürlich nicht immer so, wie sie es gern hätte. Andererseits hat sie jetzt wieder einen sehr netten Bekanntenkreis …«
Und ihr Vater erzählt weiter, von Leni, die eine Stellung habe, aber keine feste Arbeit (was sie macht, wird allerdings nicht erwähnt), dass es der Verwandtschaft in Hamburg gut gehe, der eine geheiratet habe, der andere sich verlobt. Dass das Haus jetzt Wasserklosetts bekäme – was natürlich kosten werde, sich aber auf lange Sicht lohnen würde. Also gehört ihnen doch das Haus – zumindest ein halbes:
»Es ist wirklich ein großes Glück für uns, dass wir das Haus
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