Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Meine Mutter, die Gräfin

Meine Mutter, die Gräfin

Titel: Meine Mutter, die Gräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Hirdman
Vom Netzwerk:
du tun solltest: sie aufgespürt, dich dumm und unwissend gestellt; hast du das simpelste ABC der Konspiration nicht begriffen? Hast von dem schrecklichen Moskau, dem entsetzlichen Stalin, den Verhaftungen Unschuldiger, den Hexenprozessen erzählt? Um damit potentielle Trotzkisten zu entlarven? Welche Namen nennst du in deinen »Berichten«?
    Sie wendet das Gesicht ab.

    Am 3. Juni bekommt sie ein Durchreisevisum für Belgien, das drei Monate Gültigkeit hat; am 10. Juni sitzt sie bei der Deutschen Lesegesellschaft in Kopenhagen, wo sie das Stadtratsmitglied, den Sozialdemokraten Colbjörn, trifft, dem sie (ausgewählte Teile) ihres Lebens schildert. Sie äußert, dass sie immer noch fürchte, dass man sie nach Deutschland schicken könne, und er ist vom Schicksal der jungen Frau so ergriffen, dass er bei der Polizei anruft, um sich zu erkundigen, ob derlei Pläne bestünden. Sie können ihn aber beruhigen, dass das nicht der Fall sei und » at der neppe fra de danske myndigheders side vil blive truffet forholdsregler til hendes udsendelse, når blot hun selv gør, hvad hun formår, for snarest forlade Danmark « – dass seitens der dänischen Behörden keine Maßnahmen zu ihrer Ausweisung ergriffen würden, sofern sie nur selbst dazu beitrüge, alles dafür zu tun, um Dänemark schnellstmöglich zu verlassen. Ende Juni bemüht sie sich um eine Verlängerung ihrer Aufenthaltsgenehmigung – bis September. Aber Redakteur Breitscheid, Vorsitzender des Intellektuellen-Komitees, teilt Wiedbrecht mit, dass sie nicht länger für sie zuständig seien, seitdem sie ein dänisches Zertifikat erhalten habe … Und Breitscheid sieht keine Gründe, ihrem Gesuch stattzugeben.
    Am 17. Juni besitzt sie noch 30 Dänenkronen, das sei – wie sie behauptet – alles, was sie noch habe; sie habe allerdings bis zum 1. Juli für Kost und Logis bezahlt. Vom 1. Juli an wohnt sie im Hellerups-Klub bei Familie Lebenbaum und – nanu? – vom 10. Juli bis zu ihrer Abreise gegen Ende des Monats bei Frau Dr. Weisskopf in der Ringkøbinggade Nr.  IV . Sie hat also bei Weisskopfs daheim gewohnt. Bei dem Weisskopf, der mit Niels Bohr zusammenarbeitete – jenem Weisskopf, der sich auf der sowjetischen Chiffrenliste wiederfindet.

    Was machst du da, hm? Nun sag schon? Hast du Weisskopf vorher schon gekannt? Und Blatschek? Und wer war Lebenbaum? War bestimmt auch ein Physiker, hm? Sind das die Personen, die du ausspionieren sollst? Ist das dein Auftrag?
    Ihr Kopf bleibt abgewandt.

    Aber eines weiß ich. Sie wartet und wartet, nicht nur auf ihr Visum, auf eine vorübergehende Aufenthaltserlaubnis, auf Ausweispapiere. Sie wartet vor allem auf ein Lebenszeichen von ihm – Heini – den sie liebt, den sie am 4. Februar in einem immer kälteren Klima in Moskau zurückgelassen hatte. Ihn, den sie vor der Polizei wie Judas zweimal verleugnet. Sie wartet, sie sehnt sich, prüft ihr Gewissen, schreibt ihm. Wie an einen Beichtvater. Briefe, die nie abgeschickt wurden. Was beichtet sie?
    So ganz anders, als wir dachten
    »Mein Liebster«, schreibt sie am 7. Juni 1937, vielleicht sitzt sie inmitten von Gänseblümchen in einem Kopenhagener Park, »bald hast Du Geburtstag und ich möchte Dir an diesem Tag einen Gruß senden. Chéri, ich habe Dich so lieb und ich glaube – genau wie früher – fest an Dich und an unsere Sache, obwohl Du es mir entsetzlich schwer machst, weil ich so gar nichts von Dir höre.
    Ich träume viel von Dir, aber das fällt mir immer schwerer, weil ich nicht weiß, wie es Dir geht. Bist Du krank, ohne Arbeit, ist alles in Ordnung, bist Du zufrieden, bist Du unglücklich, hast Du eine andere Frau, wie stehst Du zu mir, werden wir uns wiedersehen, was sind Deine Pläne – all das.
    Es kann doch nicht sein, dass das mit uns zu Ende ist. Du musst mir schreiben, ich halte diese Ungewissheit nicht mehr aus. So geht das nicht.
    Meine Lage ist im Großen und Ganzen leider auch unverändert. Ich führe ein faules und ruhiges Leben, verspüre
aber eine immense innere Unruhe, weil alles so ungewiss ist und ich nichts dagegen machen kann, und das macht mich sehr nervös, trotz eines Flirts etc. hier und da.
    Ich habe einen Brief von Alexander bekommen. Er scheint der Alte geblieben zu sein. Hier verbringe ich viel Zeit mit einer Madam [?] Josùa [??] Roger, die Alfred [Kurellas Bruder, wahrscheinlich] kennt und eine Freundin von Barbusse war [Henri Barbusse? Französischer Schriftsteller und Kommunist, starb 1935 im Alter von 62 Jahren in

Weitere Kostenlose Bücher