Meine Mutter, die Gräfin
geworden. Ob der schöne Goldring mit den grünen Smaragden ihr Trauring war?
Emilie erfüllt jedenfalls eine große Freude, sie verspürt ein bedeutsames Glück. »Du musst wissen«, schreibt Emilie 1931 an ihre Tochter Charlotte, »dass ein Kind ein Quell reinen und ungetrübten Glückes ist, da es die Krönung unseres Lebens als Frau darstellt.«
»Wenn ich in ihr feines Gesichtchen sehe, muss ich immerzu an die wunderbare, glückselige Zeit denken, in der ich sie trug«, schreibt sie am 18. März 1918, während des Ersten Weltkrieges, über ihre Erstgeborene an ihren »Fritzi«. »Wie zutiefst beglückt ich doch war, wenn ich an mein Kind dachte; wie ich versuchte, guter Dinge zu sein und schöne Gedanken zu hegen! Und all diese tief empfundenen Gemütsbewegungen wirkten auf sie ein, und wenn ich sie mir so ansehe, kommt sie mir wie ein Wunder Gottes vor. Das ist die eigentliche Keimzelle der Rassenveredelung«, fährt sie philosophierend fort, »nur das. Wenn Du einen Beweis willst, musst Du nur an Leni denken, die natürlich auch schön und zart ist, aber oft auch so verschlossen. Sie zieht sich gerne in sich zurück, genau wie ich, als ich sie trug. Und dann diese Ausbrüche.«
Arme Leni, sinniere ich. Diese Last hatte sie also auch noch zu schultern; neben der Angst vor dem Vater und dem
durch Kinderlähmung entkräfteten Arm: der sichtbare Beweis dafür zu sein, dass ihre Mutter während ihrer Schwangerschaft trübsinnig und verschlossen gewesen war und wiederholt an Gefühlsausbrüchen litt.
Alte, verstaubte Vorstellungen über die »weibliche Urkraft« – war das alles, was Emilie von ihrer Mutter in die Wiege gelegt wurde, die es wiederum von ihrer Mutter hatte und so weiter und so weiter? Zurück bis in die längst begrabene Vorstellungswelt des Mittelalters und der Antike? Dass man sich während der Schwangerschaft vor dem Bösen hüten solle, sich vor schrecklichen Dingen in Acht nehmen solle, keinen hässlichen Gedanken nachhängen, sich nicht aufregen solle, sich von entstellten Personen abwenden solle und so weiter – weil sich alles, was man dachte, fühlte und tat, auf das ungeborene Kind übertrug?
Und meine Mutter – Lolotte, Lottie, Charlotte – war ja so schön! So bezaubernd! Und vielleicht, Emilie, vielleicht spielte es ja auch eine Rolle, dass sie sich so entwickelte, wie sie es tat, weil du nicht einmal in deiner Schwangerschaft darauf verzichtet hast, arbeiten zu gehen? Stolz schilderst du deiner Lolotte im Winter 1939, wie rank und schlank du trotz Schwangerschaft warst, dass man dich sogar noch zwei Tage vor der Niederkunft Mademoiselle genannt hat! Noch nicht einmal deine Schüler hätten gewusst, dass du ein Kind erwartet hast, ja, und wie entzückt sie erst gewesen seien, als du mit deinem kleinen Baby erschienen bist: »Wie schön Du warst! Wie gescheit [das änderte sich später?!]!«
All das deutet darauf hin, dass sie sich nach der Entbindung rasch wieder ihren Schülern widmete – es war schließlich Geld vonnöten. Fritz' Traum vom großen Abenteuer, also mit anderen Deutsch-Balten einen Verlag zu gründen und das Deutsche Echo zu publizieren, war schon nach einer einzigen Ausgabe vorbei, obwohl Emilie dafür besonders hübsche, mit Jugendstilverzierungen eingerahmte Abonnement
listen gezeichnet hatte, damit sie eine treue Schar Prenumeranten für sich gewinnen konnten – nur 6 Rubel! Doch es gelang ihnen nicht, mehr als 152 Unterschriften zusammenzutragen. Und dann verhielt es sich auch noch so, dass der werte Herr Schledt nichts zum Lebensunterhalt beitrug; er ging nicht mehr seiner alten Arbeit nach. Wer weiß, weshalb. Ohne Emilies Unterrichtsstunden – »ich war die Einzige, die ein Einkommen hatte« – wären sie nicht über die Runden gekommen. Und dann gaben ihnen die Behörden zu verstehen, dass sie Estland verlassen sollten.
Das war im April 1907. Und so verkauften sie ihre Möbel, beglichen alle Schulden (in den Lebensmittelgeschäften? Wo sie hatten anschreiben lassen? Für abzuzahlende Möbel?) und fuhren auf und davon. Über Riga und Hamburg – nach Oxford.
Vielleicht habe ich Mama auch missverstanden. Vielleicht waren es ja auch die Hamburger, die das junge Mädchen aus Neuchâtel nicht als Fritzis Braut akzeptieren wollten. In Emilies Brieferzählungen an meine Mutter, mit denen sie im Spätwinter 1939 fortfährt, ist zumindest noch ein Hauch von Verbitterung zu spüren. Denn in Hamburg, so Emilie, habe sie eine griesgrämige, misstrauische
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