Meine Mutter, die Gräfin
Schuber, Drei Bücher über die Liebe , oder wie sie noch gleich hießen; Niny hat sie.«
Er selbst benötige nur neue Socken und Schlipse, Onkel Otto habe ihn besucht und ihm einen warmen Mantel geschenkt …
Auch Lottie kommt Weihnachten nicht nach Hause – sie wird niemals mehr in die schöne Bukowina kommen. Weihnachten feiert sie mit Alexanders Eltern in Neustrelitz, schickt aber 50 Mark an ihre Eltern, für ihre Silberhochzeitsfeierlichkeiten.
Und Emilie bedankt sich – »das war ein trauriges Weihnachtsfest, nur Leni war zu Hause« – Leni, die anlässlich ihrer Silberhochzeit ein Kissen mit den Jahreszahlen 1906-1931 in Perlenstickerei angefertigt hat. »Der einzige Anlass zur Freude ist das Essen, Lottie, das Essen ist so unglaublich preiswert hier, und auch wenn wir kein Geld zum Reisen haben, so leben wir wie hier doch wie Gott in Frankreich – denk nur, ein Kilo feinste Butter für nur 65 Lei, ein kleines Huhn 15 Lei, eine Gans – ach ja, eine Gans – von 4 1 / 2 Kilo nur 130 Lei. Wenn ich Dir doch nur etwas davon schicken könnte!«
Aber Otto geht es nicht besser. Ende Januar 1931 fährt Emilie zu ihm nach Bad Lippspringe und ist entsetzt, wie mager er
ist, und es sei ein Glück, dass sie zu ihm gefahren sei, wie sie ihrer Tochter nach Berlin schreibt, und dass sie alle drei sich bald sehen werden, weil Otto nach Berlin verlegt werden müsse. »Krieg keinen Schreck, wenn Du mich siehst«, fügt Otto dem Brief an seine Schwester hinzu, »ich habe 8 Kilo abgenommen.«
Dann treffen sie sich. Und mehr weiß ich nicht. Die Briefe hören auf.
Emilie wird wahrscheinlich bei Lottie und Alexander in Berlin in der Eisenacher Straße 28 gewohnt haben. Emilie und Lottie wechseln sich mit den Krankenbesuchen bei Otto ab. Mehr können sie nicht tun. Während Charlotte zwischen Büro, ihrer Wohnung, ihren Freunden, Alexander – der mit vollends entbranntem politischem Eifer für Scheringers Amnestierung kämpft –, Mama und Otto, ihrem Lieblingsbruder Otto, der im Sterben liegt, hin- und hereilt, demonstrieren draußen auf den Straßen vor dem Hospiz die Menschen gegen den Paragrafen 218.
Am 4. April schreibt Papa Fritz munter an seinen Sohn, den er – meines Wissens – seit September 1930 nicht mehr gesehen hat, »jetzt ist Ostern, aber die Leute auf den Straßen rufen einander ›Frohe Weihnachten und eine schöne Schlittschuhfahrt auf der Osterreise!‹ zu. Dieses Jahr will es einfach nicht Frühling werden, in den Zeitungen sagen sie voraus, dass die Kälte noch bis Mai anhält. Wir haben Theater gespielt, Rotkäppchen und der Teufel [das steht da, glaube ich, Teufel], und der kleine Jeannin, ja, der ist unglaublich – ich überlege schon, ihn nach Deutschland zu schaffen und mit ihm beim Film vorstellig zu werden. Gute Besserung, mein lieber, lieber Junge …«
Aber Otto wird nicht wieder gesund. Am 26. April 1931, mit erst 23 Jahren, stirbt er – abgemagert und hohläugig. Und Emilie kehrt nach Hause – in die erdrückende Stille des Hauses – zurück.
»Hier ist alles leer; verlassen. Jeder Winkel des Hauses, jeder Stuhl, jeder Sessel, ja, jedes Möbelstück erinnert mich an Otto – alles im Garten. Seine Lieblingsplätze, da, wo die Lilien jetzt so üppig blühen, so wie Otto sie geliebt hat. […] Ich kann nicht begreifen, dass es ihn nicht mehr gibt, diesen guten Jungen, der mir nie Kummer gemacht hat. […]
Otto kurz vor seinem Tod.
Alles schmerzt – die Sonne, die Blumen, die Vögel. Alles!
Mein Liebling, liebt mich wieder genauso wie vorher; nicht, weil ich aufgebe – Ihr beide seid doch meine geliebten Mädchen – aber ich bin gebrochen und habe fast keine Kraft mehr.«
Dann schiebt sie das Briefpapier mit den schwarzen Trauerrändern zu ihrem Mann hinüber, und er greift nach der Feder und schreibt an jenem schönen, leeren, verlassenen, entsetzlichen Tag, dem 16. Mai in Radautz dieses:
»Meine liebe Lottie!
Danke Dir für den Brief. Ich bin noch immer ganz benommen vom Verlust unseres Ottos. Du weißt, bei mir geht alles ein bisschen langsamer. […] Es ist nur gut, dass wir uns alle so gut verstehen und lieb haben, und das Gefühl haben können, dass einer für den anderen da ist.«
Dann presst er die Lippen zu einem unerbittlichen Strich zusammen – verschließt sie wie ein Schloss, durch das kein unpassender Laut schlüpfen, nicht der kleinste Seufzer ent
weichen kann, und erst recht kein Schluchzen. Bin noch immer ganz benommen , schreibt er, dabei ist
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