Meine Oma, Marx und Jesus Christus: Aus dem Leben eines Ostalgikers (German Edition)
Drehlochstrudelrettung erfuhr ich mit 7, Nina erst mit 17. Es liegen aber nicht nur 10 Jahre der Kindheitsentwicklung dazwischen. Nein, auch vermute ich, die Kinder von heute haben mehr Angst vor Cyber-Angriffen auf ihren Laptop als vor Elbstrudeln.
Und plötzlich zieht dich Facebook in seinen Bann, du kommst davon gar nicht mehr los. Immer in Bereitschaft, immer auf Erreichbarkeit getrimmt, letzten Endes abgelenkt vom realen Leben, merken unsere Kinder gar nicht mehr, was mit ihnen passiert. Werden sie nicht virtuell gestrudelt?
Und ewig fließt die Elbe, und kurz nur währt das Leben, und in einem Jahr ist eh alles vorbei.
Natürlich, 49 Jahre sind doch schon rum. Dämmert’s? Ach ja, Otto Reutter…
Ich bezeichne mich ja selbst gern als pessimistischen Optimisten. Na, besser als umgekehrt: Ein optimistischer Pessimist ist viel schlimmer.
Zum Beispiel?
Rösler sagte unlängst: »Bitte bewahren Sie Ruhe. Die Bundesregierung hat alles im Griff. Kein Grund zur Beunruhigung!« Da läuten bei mir alle Alarmglocken gleichzeitig: Konto sperren! Ausreise beantragen! Mobilmachung! Kurz: Zu den Waffeln!
Ein Bürger, der die Deutsche Demokratische Republik
überlebt hat, geht keinem blutdruckarmen Momentanwirtschaftsminister auf den Leim. Bei uns hätte der es nicht mal zum Wandzeitungsredakteur gebracht.
»Unsere Erntekapitäne Tag und Nacht im Einsatz! Der Drusch ist im vollen Gange! Die Brigade »German Titow« half mit acht Mähdreschern in der Uckermark der Brigade »Rainer Brüderle« beim Drusch. – Druschba! – Alle Kombines ausgelastet! Auch in diesem Jahr steht die Erntefront! Jeder Halm zählt! So viel zu den Ernteschlachten in der DDR und zum Fünfjahrplan . . .
Und heute? Wie heißt der Fünfjahrplan heute? Wirtschaftswachstumbeschleunigungsgesetz! Und das beginnt zu greifen. Wissen Sie, was das ist, das Wirtschaftswachstumsbeschleunigungsgesetz? Sinnlich, also bildlich, passiert Folgendes, auf Anhieb verständlich, auch für Philipp Rösler.
Ich erklär es Ihnen: Sie schenken Ihrem Liebsten zu Weihnachten fünf Schlübber (Schlüpfer), dann im nächsten Jahr zehn. Ja, zehn! Die Wirtschaft muss sich ja per Gesetz beschleunigen, also »Wachstum«, aus fünf mach zehn! Dann, im dritten Jahr, brauchen Sie schon 20 Schlübber für den Liebsten, unter dem geht’s nicht . . . So, jetzt haben Sie 20 Schlüpfer, aber noch kein Waschpulver. Spätestens jetzt geht’s den Schlübbern drecksch. Was das heißt? Die da oben sind nicht ganz sauber. Es ist alles zu kurz gedacht. Schnell, schneller, am schnellsten und ganz doll Ich. Ich. Ich. Ich, um nur einige zu nennen.
Es gibt einen schönen Satz aus der Renaissance, gefunden auf einer Degenscheide, zu besichtigen im Grünen Gewölbe zu Dresden. Auf dem geschmiedeten Stahl der Damaszenerklinge steht fein eingraviert: »Zeit ist Gnade« … Pause … Und Friedrich Nietzsche, der große deutsche Philosoph, sagte einmal: »Der Mangel an Ruhe treibt uns in die nächste Barbarei.«
Die Hoffnung
Die »Hoffnung« von Friedrich Schiller, damit wollte ich Sie gern wecken. Doch bevor dies wundervolle Gedicht – nahe der Romantik – Sie hoffentlich hoffnungsfroh in den Tag segeln lässt, ein morgendlicher Geistesgruß: Das menschliche Gehirn wiegt zwar nur 2% des Gesamtgewichts des Körpers, verbraucht aber 20% der Energie . . . gut, nicht bei allen, und bei manchen hat man eher den Eindruck, es sei umgekehrt. Sie aber haben gelacht und deshalb nun das versprochene Gedicht:
HOFFNUNG
Es reden und träumen die Menschen viel
von besseren künftigen Tagen,
nach einem glücklichen gold’nen Ziel
sieht man sie rennen und jagen,
die Welt wird alt und wieder jung,
doch der Mensch hofft immer Verbesserung.
Die Hoffnung führt ihn in’s Leben ein,
sie umflattert den fröhlichen Knaben,
den Jüngling locket ihr Zauberschein,
sie wird mit dem Greis nicht begraben;
denn beschließt er im Grabe den müden Lauf,
noch am Grabe pflanzt er die Hoffnung auf.
Es ist kein leerer schmeichelnder Wahn,
erzeugt im Gehirne des Toren,
im Herzen kündet es laut sich an:
zu was Besserem sind wir geboren!
und was die innere Stimme spricht,
das täuscht die hoffende Seele nicht.
So, nun kann der Tag beginnen. Ich komm’ trotzdem gar nicht darüber hinweg, dass es Familien gibt ohne Tisch. Folglich gibt es auch keine Tischmanieren, braucht keiner. Aber auch das könnte man, nein, sollte man positiv sehen ... wieder etwas, auf das man nicht zu achten braucht. Tischmanieren
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