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Meine Philosophie lebendiger Gaerten

Meine Philosophie lebendiger Gaerten

Titel: Meine Philosophie lebendiger Gaerten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriella Pape
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begreifen, aber auch den Genuss, den wir als fühlende Menschen aus unserem Garten ziehen, zu erneuern, ja mitunter erst zu finden. »Überall habe ich auf den ewigen Einfluss hingewiesen, welchen die physische Natur auf die moralische Stimmung der Menschheit und auf ihre Schicksale ausübt«, schrieb er an anderer Stelle und ergänzte: »Wenn der Mensch mit regsamem Sinne die Natur durchforscht oder in seiner Fantasie
die weiten Räume der organischen Schöpfung misst, so wirkt unter den vielfachen Eindrücken, die er empfängt, keiner so tief und mächtig als der, welchen die allverbreitete Fülle des Lebens erzeugt.« 8
    Diese klugen Sätze von Humboldt können wir uns für unsere Gärten zu eigen machen und brauchen doch nicht gleich so weit zu gehen, wie er es tat, der am eigenen Körper auch noch die Gifte ausprobierte, denen er auf seinen Forschungsreisen begegnete. Ungenießbare Beeren von den Büschen pflücken und kosten, um uns ein komplettes Bild vom Garten zu machen, das können wir uns getrost sparen und den Vögeln überlassen.

Die Dimension der Zeit

    E ine Gartenweisheit besagt: Man betritt niemals den gleichen Garten zweimal. Was soviel bedeutet wie: Ein Garten hat sich immer gegenüber dem vorherigen Mal, als wir ihn betraten, verändert - um eine Nuance, um sich entfaltende Blüten, um Farben und Licht oder ein kräftiges Wachstum.
    Alles wächst, und Wachstum verändert das Aussehen. Das wissen wir schon von den Kindern. Aber da gibt es noch andere Phänomene, die beim Garten immer wieder verwandelte Eindrücke bewirken. Ein Garten zeigt stets ein neues Bild, von Jahr zu Jahr, von Jahreszeit zu Jahreszeit, von Monat zu Monat, von Tag zu Tag, von Stunde zu Stunde, von Minute zu Minute. Was uns für die langen Zeiteinheiten wie eine Banalität vorkommen mag, gerade was das Wachstum betrifft, ist bezogen auf die kurzen Momente eher auf den zweiten Blick erkennbar: Der Schmetterling sitzt nicht mehr an der gleichen Stelle, vielleicht ist er aus dem Gartenbild vollends verschwunden, ein Blumenstängel ist geknickt, eine Blüte verliert im Verblühen ein Blatt nach dem anderen, weil ein Windstoß zu stark war oder die Katze vorbeigekommen ist, die Sonne verschwindet hinter Wolken oder wirft nach einer kurzen Weile schon wieder andere, längere oder kürzere Schatten oder blendende Strahlen durch das Blattwerk der Bäume, ein Vogel zwitschert aus einer anderen Ecke als eben noch, ein sachter Wind kommt auf und bringt eine leichte Bewegung in die zuvor fast steifen Gräser, Regentropfen legen einen Glanz auf die Blätter oder machen sie ganz schwer.

    Es sind Bewegung und Beleuchtung, Blüte und Wachstum, Farbtöne und Wettereinflüsse, die sich im Garten ständig verändern, ganz kurzfristig oder auch über Tage. Wir müssen nur einen Sinn dafür entwickeln und genau hinschauen, dann offenbaren sich die schönsten Erlebnisse und Wandlungen, die Lebendigkeit unseres Gartens. Und alles geschieht auf einer Zeitskala. Was gerade noch war, ist kurz darauf schon nicht mehr oder ganz anders.
    Zeit im Garten ist nicht überbrückbar. Die Zeit im Garten ist nicht anzuhalten, zu beschleunigen schon eher. Manchmal. So kann ich einen üppig blühenden, zuvor monatelang in irgendeinem fremden, kommerziellen Treibhaus gepflegten Topf Cosmea im Gartencenter kaufen und in die Mitte des Rasens oder der Terrasse stellen und mich an seiner Pracht von einem Tag auf den anderen, von einer Stunde auf die andere ergötzen. Das ist nobles Gärtnerleben. Doch was sich aus dem kleinen Pflänzchen entwickelt, aus einer Zwiebel oder aus dem winzigen Samenkörnchen entsteht, das sind die wirklichen Wunder der Natur, des Lebens, des Gärtnerns - und der Zeit im Garten. Jeden Tag ein bisschen mehr, bei manch einer aufbrechenden Blüte können wir die stündliche Veränderung beobachten, aus einer Zwiebel im Boden das hervordrängende Leben ganz elementar verfolgen. Das sind die Mutmacher für das alltägliche Dasein.
    Manchmal dauert es noch ein paar Jahre, zwei, drei oder gar vier, bis der Garten das ist, was wir haben wollen, bis er sich so zeigt, wie wir uns unseren Traum vom eigenen Fleckchen Erde vorgestellt haben. Da gilt es dann, die anfängliche Ungeduld
oder gar die zunehmende Unzufriedenheit zu überbrücken. Alles geht zunächst viel zu langsam. Denn unmittelbar nach Fertigstellung sieht der Garten nie besonders gut aus (außer bei der englischen Gartenshow). Oft sehen wir noch den nackten Boden, der auf den schützenden

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