Meine Reise in die Welt der Gewuerze
eigentlich gar nicht mehr existiert. Ich bleibe am Karren eines fahrenden Händlers stehen und probiere eine seiner Teigtafeln mit Sesamhonig – es ist ein »Sesam-öffne-dich« für mich, denn exakt so hat der Orient in meiner Fantasie immer geschmeckt. Und ich wünsche den Hühnern alles Gute, die verängstigt aus ihren Käfigen hervorlugen und erst geschlachtet werden, wenn sich ein Käufer gefunden hat.
Immer wieder stoße ich auf Gewürzgeschäfte, die schon von Weitem an ihren leuchtend gelben und roten Pulverkegeln zu erkennen sind. In einem besonders prachtvollen Laden stehen dicht gedrängt hüfthohe Säcke voller Kreuzkümmel, Rosenknospen, Kardamom, Bockshornklee, schwarzem Pfeffer, weißem Pfeffer, Langpfeffer, Kubebenpfeffer, Malaguettapfeffer. Viele Kunden scheinen mir professionelle Köche zu sein, die mit geübter Hand die Zutaten für ihr ganz persönliches Ras-el-Hanout zusammensuchen. Sie werfen Dutzende verschiedener Gewürze in einen Mörser, kosten, zögern, variieren, experimentieren, sind nach langem Hin und Her schließlich zufrieden und geben den Angestellten das Zeichen, genau diese Mischung en gros für sie zusammenzustellen und in einer museumsreifen Mühle unter viel Getöse zu mahlen.
So inspirierend das Gewimmel der Altstadt auch ist, so dringend braucht man nach einiger Zeit eine Atempause. Und die schönsten Oasen der Stille sind die Riads, die typischen alten arabischen Häuser mit ihren schattigen Innenhöfen. Dutzende, wenn nicht Hunderte dieser Riads sind in den vergangenen Jahren oft von wohlhabenden Ausländern restauriert und in Privathäuser, Hotels oder Restaurants umgewandelt worden. Meine Rettungsinsel ist in diesem Moment das »Riad Kniza«, das in einem Gebäude aus dem 18. Jahrhundert residiert und den allerschönsten Klischees des Orients entspricht: Säulen und Spitzbögen umrahmen den schönen Innenhof, an jeder Seite versteckt sich ein kleiner Salon mit Diwanen und niedrigen Intarsientischen. Ein Springbrunnen plätschert leise seine immer gleiche Melodie, auf der Wasseroberfläche schwimmen duftende Rosenblätter, und der Lärm von Marrakesch hat sich zu einem fernen Murmeln verflüchtigt. Leise beginnt eine Laute zu spielen, kurz danach ist Händeklatschen zu hören, schließlich Gesang. Und dann kommen die Vorspeisen.
Es gibt pürierte Auberginen, marinierte Zucchini und Okraschoten in Tomatensauce, danach Briouats, kleine, mit Käse oder sonnengetrocknetem Fleisch gefüllte Teigtaschen, B'stilla, eine Pastete mit Tauben, Mandeln und reichlich Zimt. Die Hauptspeise ist die Spezialität der Stadt schlechthin: geschmortes Lamm mit getrockneten Pflaumen, Aprikosen und Mandeln. Zum Abschluss des opulenten Mahls werden Gebäck und Pfefferminztee serviert, der in weitem Schwung eingegossen wird, damit er sich etwas abkühlt und trotzdem frisch bleibt.
Während des Essens hat sich Mohammed Bouskri zu mir gesetzt. Er hat das »Riad Kniza« mit ebenso viel Liebe wie Aufwand in ein Hotel mit Restaurant umgebaut und sich als studierter Historiker außerdem eingehend mit der Entwicklung der marokkanischen Küche befasst. »Am Anfang«, sagt er, »gab es hier nur die Küche der Berber.« Sie kochten mit dem, was die Wüste hergab: Fleisch, Milch, Datteln, etwas Getreide. Mit den Arabern kamen im 8. Jahrhundert die Gewürze ins Land. Und einen wichtigen Einfluss übten die Juden aus, die Ende des 15. Jahrhunderts von der Inquisition aus Spanien vertrieben wurden und nach Marokko flohen. Sie brachten viel Raffinesse in die Küche, vor allem im Umgang mit Teig. Die Pastete B′stilla zum Beispiel hat jüdische Ursprünge.
Ich weiß, dass der Küche Marokkos ein gewaltiger Ruf vorauseilt. »Gelbe Küche« wird sie oft genannt, weil sie viel mit gelb färbenden Gewürzen wie Kreuzkümmel, Kurkuma und Safran arbeitet. Im Gegensatz dazu kocht man in Tunesien eine »rote Küche« – dort mag man es am liebsten scharf –, und im östlichen Mittelmeer eine «weiße«, zu deren Hauptzutaten Joghurt zählt. In kaum einem anderen arabischen Land werden Gewürze so variantenreich eingesetzt wie in Marokko. Und nirgendwo sind die Tajines, die in kegelförmigen Tongefäßen geschmorten Ragouts mit Fleisch, Obst und Nüssen, so raffiniert wie in Marrakesch. Wer hinter das Geheimnis der echten Tajines kommen will, muss allerdings nach Marokko reisen. Denn in dem Land gibt es keine Kochbuchtradition. Die Rezepte werden seit jeher von den Müttern an die Töchter weitergegeben
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