Meine Reise in die Welt der Gewuerze
wie die Spinne im Netz eines weltweiten Gewürzhandels, wurde darüber reich, prunkvoll und begehrenswert. Seit jeher haben sich alle von diesem Ort und seiner Lage verführen lassen, die antiken Griechen, die die Stadt um 660 vor Christus als Byzantion gründeten, die Perser, die sie 513 vor Christus eroberten, später die Römer, die sie Konstantinopel tauften und zur Hauptstadt des Oströmischen Reichs machten. Schließlich die Osmanen, die sie 1453 in Besitz nahmen und damit ein neues Kapitel in der Weltgeschichte aufschlugen. Denn der Fall Konstantinopels und die damit verloren gegangene Kontrolle über den Gewürzhandel war der Antrieb für die Europäer, den Seeweg nach Indien zu suchen – mit allen bekannten Folgen.
Und diese ganze Geschichte sieht man, spürt man, atmet man. Wie hypnotisiert fühle ich mich von der grandiosen Silhouette Istanbuls, dieser allgegenwärtigen Panoramakulisse, in der sich die Schichten der Geschichte wie bei einem Baumkuchen übereinandergetürmt haben: Die Minarette Dutzender Moscheen, eine prachtvoller als die andere, stechen wie göttliche Lanzen in den Himmel, während der riesige Topkapi-Palast der osmanischen Sultane auf seiner Landzunge melancholisch vergangenem Ruhm nachtrauert und auf dem wuchtigen Galata-Turm immer noch die genuesischen Gewürzhändler sehnsüchtig auf die Ankunft ihrer Schiffe zu warten scheinen. Die Königin dieser Kulisse aber ist die Hagia Sophia. Ihr nicht seine Aufwartung zu machen ist ein Verbrechen.
Ich mache mich nicht schuldig, stehe in der Hagia Sophia, lege den Kopf tief in den Nacken und bekomme eine Gänsehaut. Mein Führer flüstert fast, um die Andacht nicht zu stören, der kein Touristenrummel etwas anhaben kann. Tausend Jahre lang, sagt er, war die Hagia Sophia die wichtigste, großartigste, prunkvollste Kirche der Christenheit, im 6. Jahrhundert als letztes großes Bauwerk der Antike errichtet und für Jahrhunderte als unübertroffene architektonische Sensation gefeiert. Denn sie wurde als Kuppelkirche errichtet, in der kein einziger Stützpfeiler die Erhabenheit des monumentalen Innenraums entweiht. Winzig klein fühle ich mich unter der 56 Meter hohen, goldglänzenden, die ganze Herrlichkeit des Himmelreichs ankündigenden Kuppel, so klein, wie sich ein Mensch im Angesicht Gottes fühlen soll.
»Doch wie in Gottes Namen konnte man damals nur eine solche Kuppel bauen?«, frage ich meinen Führer. Es war ein simpler Sandkastentrick: Nachdem alle Grundmauern errichtet worden waren, füllte man das gesamte Gebäude mit Erde und setzte die Kuppel gefahrlos obenauf. Damit die Kirche möglichst schnell fertig wurde, ließ Kaiser Justinian Goldstücke unter die Erde mischen – und jeder Arbeiter, der eines fand, durfte es behalten. So war die Kirche in Windeseile wieder leer geräumt. Als dann die osmanischen Eroberer 1453 die Hagia Sophia sahen, waren sie so fassungslos im Angesicht des riesigen, freien Raums wie jetzt ich. Und sie beschlossen: Diese Kirche soll künftig das Vorbild aller Moscheen sein. Denn bis dahin waren die islamischen Gotteshäuser immer als Pfeilermoscheen gebaut worden, was den Nachteil hatte, dass die Gläubigen den Vorbeter schlecht sahen. Eines aber gelang den Sultanen nie: Jeder Versuch, die wahnwitzige Kuppelhöhe der Hagia Sophia mit einer Moschee zu übertreffen, scheiterte um eine Handvoll Meter. Und so wirkt es fast wie Trotz, dass die Osmanen die Kirche in eine Moschee umwidmeten, die Kuppel mit Suren und die Stirnseite mit dem Namen Allahs und des Propheten in gigantischen Schriftzügen schmückten. Erst 1935 wurde die Hagia Sophia auf Geheiß von Mustafa Kemal Atatürk, dem Gründer der modernen Türkei, in ein Museum umgewandelt, in ein gemeinsames Erbstück der beiden Weltreligionen.
Draußen blendet mich nicht mehr das Gold der Deckenmosaiken, sondern die Sonne Istanbuls – und der Glanz einer Geschichte, die hier so verdichtet ist wie kaum irgendwo sonst. Im Viertel rund um die Hagia Sophia geht man nicht nur durch, sondern buchstäblich auch über die Vergangenheit. In diesem Augenblick befindet sich genau unter mir die berühmte römische Zisterne, die achtzig Millionen Liter Wasser fasste, der Stadt bei Belagerungen das Leben rettete und im James-Bond-Film »Liebesgrüße aus Moskau« einen großen Auftritt hatte: Sean Connery steigt zusammen mit seinem türkischen Freund in die Zisterne hinab, um die sowjetische Botschaft mit einem Periskop auszuspionieren.
So viele Gegensätze
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