Meine Reise in die Welt der Gewuerze
drängen sich hier so friedlich auf so engem Raum. Ich komme an Sultansmoscheen vorbei und an verwitterten Holzhäuschen, an Stadtpalästen und Karawansereien, aus deren winzigen Fenstern das Hämmern einer Silberschmiede dringt. Dann schreite ich durch ein 500 Jahre altes Tor und bin im Großen Basar, einem ganz eigenen, labyrinthischen, komplett überdachten, wie ein Bienenkorb summenden Universum, in dem 30000 Menschen arbeiten, Armeen von Teeverkäufern mit ihren Tabletts hin- und hereilen und fünfmal am Tag der Muezzin in einer Art Vogelhäuschen hoch über den Gängen zum Gebet ruft.
Überall glänzt das Gold, bis heute das wichtigste Handelsgut des Großen Basars, das meist in Form von Armreifen verkauft wird. Mein Führer erklärt mir, warum: Früher konnte ein Ehemann in der Türkei seine Frau nach islamischem Recht mit einem dreifachen Fluch einfach so aus dem Haus werfen. Die Ehefrau durfte nur mitnehmen, was sie am Leib trug – und deswegen hatte sie ihr Geld in Form von goldenen Armreifen stets bei sich. Dieses Gesetz gibt es längst nicht mehr, doch bis heute ist es Tradition in der Türkei, vor der Hochzeit im Großen Basar Gold zu kaufen.
Wo aber sind die Gewürze, das wahre Gold des Lebens? Ich frage die Goldhändler, und sie deuten nach unten, in Richtung Galata-Brücke: »Geh zum Wasser, und du wirst sie finden, in einem eigenen Basar.«
Nach ein paar Minuten stehe ich vor einem rechteckigen Gebäude mit Dutzenden von Kuppeln, und wieder bekomme ich eine Gänsehaut: »1597 – 1664« steht auf einer Tafel am Eingangstor. Das sind die Geburtsdaten des Istanbuler Gewürzbasars, der auch nach 400 Jahren quicklebendig ist – das hier ist nun wirklich Geschichte zum Anfassen, zum Riechen, zum Kosten. Ich tauche ein in diese uralte, niemals geplünderte, noch immer prall gefüllte Ali-Baba-Höhle der Wohlgerüche und fühle mich wie ein Zeitreisender, wie ein venezianischer Kaufmann, der dem Abendland die Kostbarkeiten des Morgenlands bringt.
An den Marktständen stapeln sich Barren und Blöcke von türkischem Honig zu tollkühnen Türmen. Nüsse und kandierte Früchte liegen kunterbunt in ihren Holztrögen wie in einem essbaren Farbmalkasten.
Von der Decke hängen Schlangen mit getrockneten Auberginen und Paprikaschoten und lange Lutscher, die »Süße Wurst« heißen: Es sind Spieße mit Walnüssen, die immer wieder in Aprikosen- und Maulbeersirup getunkt wurden. Und in einer Gewürzapotheke entdecke ich einen anderen Sirup, der nichts für Kinder ist: »Das Aphrodisiakum des Sultans« steht auf der Dose, und die Inhaltsangabe liest sich wie ein Gesamtwarenverzeichnis des Gewürzmarkts: »Zimt, Pfeffer, Nelken, Kreuzkümmel, Senfsamen, Anis, Koriander, Ingwer, Zimtblüten Kokosnuss, Fenchel, Vanille, Kardamom, Safran, Myrrhe, Zitrone, Thymian, Henna« – na, da kann ja nichts mehr schief gehen.
Ich gehe trotzdem lieber weiter und denke leise lächelnd über die Leichtgläubigkeit des Menschen nach.
Plötzlich werde ich von einem Gewürzhändler aus meinen Gedanken gerissen und in sein Geschäft hereingerufen. Der Mann spricht fließend Bayerisch und heißt Cengiz. »Wie spricht man das aus?« – »Nenn mich einfach Dschingis, so wie Dschingis Khan«, sagt Cengiz und zeigt mir all seine Schätze: Schafskäse, der für ein Jahr zum Nachreifen in ein Ziegelfell eingenäht wird, gepressten Fischrogen und irrwitzig teuren Beluga-Kaviar, den er ganz schlicht in einer Plastikdose aufbewahrt wie eine Wurstsemmel. Schließlich holt Dschingis verschwörerisch den Safran hervor. »Vergiss den iranischen Safran, den alle kaufen. Der hier ist der Beste, den es auf der Welt gibt, der kommt von der türkischen Schwarzmeerküste. Hier, probier!« Und ich muss ihm recht geben, dieser Safran ist wirklich fabelhaft. Ich kaufe gleich zwanzig Gramm, um damit zu Hause in meiner Küche zu experimentieren. Cengiz starrt mich mit offenem Mund an, doch ich beruhige ihn: »Keine Angst, ich kenne mich mit Safran aus und weiß, dass er nicht nur schmerzstillend und bewusstseinserweiternd wirkt – deswegen nahmen die Nonnen im Mittelalter bei ihren stundenlangen Gebeten in eisig kalten Kirchen so gern Safran –, sondern auch sehr gefährlich sein kann. Weißt du, Cengiz, dass ein ausgewachsener Mann sterben kann, wenn er zwölf Gramm Safran auf einmal zu sich nimmt?« Das wusste selbst der Dschingis Khan des Istanbuler Gewürzmarkts nicht.
Ich muss weiter, das Essen wartet – und zwar überall.
Ganz Istanbul
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