Meine Reise in die Welt der Gewuerze
können sich alles leisten. Die wahre Kunst ist die Küche der Armen. Denn die Armen haben nichts anderes als ihre Fantasie, um gut zu kochen. Genau so ist es, Musa, genau so.
»Zum Schluss will ich dir noch etwas zeigen«, sagt Musa und legt seinen Arm um meine Schulter. Schräg gegenüber hat er einen Dönerladen, nichts Besonderes, einen Imbiss eben, wie wir ihn tausendfach auch aus Deutschland kennen – von wegen nichts Besonderes: Musa säbelt mir höchstpersönlich das Fleisch ab. Es schmeckt so zart, so saftig und würzig, wie ich es noch niemals bei einem Döner gegessen habe. Nur eines will er mir nicht geben: Sauce.
»Denn das«, sagt er laut lachend, »ist eure Erfindung: deutscher Döner. In der Türkei essen wir ihn nie mit Sauce.« Und schon wieder bin ich schlauer geworden. Gibt es etwas Schöneres als Reisen?
NASCHEN VOM PARADIES
Gewürze und Kräuter im europäischen Mittelalter
D er Untergang des Römischen Reichs im 5. Jahrhundert war für Europa eine Katastrophe. Er warf das Abendland zivilisatorisch und vor allem kulinarisch um Jahrhunderte zurück. In der Küche hielt wieder die Barbarei Einzug, während draußen Hunnen, Goten und Vandalen wüteten, die Völkerwanderung alle Ordnung durcheinanderbrachte und in weiten Landstrichen nur noch das Gesetz des Stärkeren galt. Erst im 7. und 8. Jahrhundert bildeten sich langsam wieder staatliche Strukturen heraus, die der Anarchie Einhalt geboten. Das ist vor allem dem Karolinger Karl dem Großen zu verdanken, der sich am Weihnachtstag des Jahres 800 in Rom zum römischen Kaiser krönen ließ und die historische Kontinuität von der Antike zum Mittelalter herstellte. Damit war der entgleiste Zug der Geschichte sozusagen wieder auf die richtige Spur gesetzt und kannte nun den Weg in die Zukunft.
Die katholische Kirche konsolidierte sich als tragende Kraft im mittelalterlichen Machtgefüge und baute ein engmaschiges Herrschaftssystem aus Bistümern, Abteien und Kirchenstaaten auf. Und bei den weltlichen Regenten setzte sich allmählich der Gedanke des Landfriedens durch: Sie verzichteten vor allem bei Fehden freiwillig darauf, mit Gewalt ihre Rechtsansprüche durchzusetzen, obwohl sie eigentlich dazu legitimiert waren. Der Landfriede war Grundlage und Voraussetzung für politische Ordnung, wirtschaftlichen Aufschwung und kulturelle Blüte. Doch es sollte bis 1495 dauern, bis im Heiligen Römischen Reich der Ewige Landfriede verkündet werden konnte. Insgesamt war das Mittelalter gewiss nicht so finster, wie gern behauptet wird. Doch es dauerte bis ins 11. und 12. Jahrhundert, bis annähernd das römische Niveau an Kultiviertheit wieder erreicht wurde. Und im Vergleich zur islamischen Welt des Mittelalters waren die Europäer ohnehin nichts anderes als Rohlinge und Rabauken.
Leben unter der Herrschaft des Todes
Über die Küche zwischen 400 und 1000 sollte man so gütig wie schamvoll den Mantel des Schweigens breiten. Eines aber ist vollkommen verblüffend: Selbst in dieser Zeit des Schreckens und der Schmalkost gab es in Europa Gewürze. Der Handel erreichte zwar bei Weitem nicht mehr das Volumen früherer Zeiten, aber er kam nicht vollständig zum Erliegen – ohne Gewürze mochten die Menschen also selbst in ihren finstersten Epochen nicht leben. Das hatte nicht nur geschmackliche, sondern auch medizinische Gründe: Gewürze waren gleichermaßen Luxusgüter und Heilmittel, die viele Speisen bekömmlicher machten und vor Krankheiten schützten. Der Pfeffer zum Beispiel, der 90 Prozent des Handels mit Würzmitteln ausmachte, war allein schon wegen seiner gegen Bakterien und Viren wirkenden ätherischen Öle unverzichtbar. Diese segensreiche Wirkung war einer der wichtigsten Gründe dafür, dass das Mittelalter so verrückt nach Gewürzen war.
Zügelloses Würzen bringt ewige Verdammnis
Denn das Mittelalter war wahrlich kein Spaß. Der Mediävist Otto Borst hat für diese Epoche, in der die durchschnittliche Lebenserwartung bei gerade einmal dreißig Jahren lag, den plastischen Begriff vom »Leben unter der Herrschaft des Todes« geprägt. Ohne die Allgegenwart des Todes kann man den mittelalterlichen Heißhunger auf Gewürze und die Maßlosigkeit bei ihrer Verwendung nicht verstehen. Wer Tag für Tag mit der Drohung seines eigenen Endes lebt, neigt zwangsläufig dazu, einen möglichst unmittelbaren und intensiven Genuss zu suchen. Prassen war Pflicht, weil man nicht wusste, ob man morgen überhaupt noch Gelegenheit dazu haben würde.
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