Meine Reise in die Welt der Gewuerze
ist ein einziger Speisesaal. An jeder Straßenecke stehen fliegende Händler, die Maiskolben kochen, Maronen rösten, Lutscher schöpfen, Sesamringe verkaufen oder Eis mit geriebenen Orchideenwurzeln verdicken, damit es in der Hitze nicht so schnell schmilzt. Und das Schönste ist: Die Lust der Istanbuler an der guten Küche setzt sich von der Straße bis in die Spitzenrestaurants fort. Ich habe in fabelhaften Häusern gegessen, im durchgestylten »Mikla« oben auf der Terrasse auf dem höchsten Hügel mit einem Sensationspanorama auf die Stadt. Und im hocheleganten »Müzedechanga«, in einem ehemaligen Sommerpalais einer reichen Industriellenfamilie, inmitten eines Parks mit Königslogenblick auf den Bosporus. Beide Male war es eine kompromisslos modernisierte, mit der europäischen Haute Cuisine verschmolzene türkische Küche, die ihre Wurzeln nie verleugnet, sich aber auch nicht von ihnen strangulieren lässt.
Doch ich suche nicht die moderne Küche. Ich will zu Musa, dem Schatzsucher der Gewürze, dem Kopfjäger kostbarer Kräuter. Musa Dagdeviren kocht auf der asiatischen Seite im Viertel Kadiköy, das berühmt ist für seine Marktstände und Straßenrestaurants.
Die Fähre bringt mich hin, wieder vorbei an dieser sterbensschönen Silhouette Istanbuls, vorbei an all den Minaretten und Palästen zur Verherrlichung von Gottes Ruhm und Sultans Pracht. Nach einer kurzen, berauschenden Fahrt sind wir von Europa nach Asien gelangt, und ich könnte alle paar Meter stehen bleiben, um mich satt und glücklich zu essen: an dem Fischstand, den ein riesiger Thunfischkopf wie die Trophäe eines Meeresungeheuers schmückt; an den Grillimbissen, die Lamminnereien in Därmen als würzige Würste und reisgefüllte Miesmuscheln mit Zimt und Zitrone braten. Oder an der Confiserie, in deren Auslage sich Marzipan in Form von Auberginen, Karotten, Zitronen oder Erbsenschoten wie bei einem trügerischen, zuckersüßen Miniaturgemüsestand stapeln. Aber das wäre gar nicht klug, denn Musa wartet.
Musa sitzt in seinem schlichten Restaurant, das viel Wert auf erschwingliche Preise und überhaupt keinen Wert auf Pomp legt – so wie Musa selbst. Er ist ein zierlicher Mann mit einem monumentalen Schnauzbart, stolz und selbstbewusst und dabei fast scheu, niemand, der große Worte macht und stattdessen lieber seine Gerichte sprechen lässt. Musa ist halber Türke und halber Kurde, stammt aus dem Osten der Türkei und hat schon als Bub seiner Mutter in der Bäckerei geholfen. Und er ist ein Extremist mit radikalen Überzeugungen: Er weigert sich standhaft, die türkische Küche zu modernisieren, sondern will sie im Gegenteil zu ihren osmanischen Wurzeln zurückführen. Denn er ist davon überzeugt, dass zuzeiten der Sultane noch besser und raffinierter gekocht wurde als heute. Musa schaut also konsequent zurück, doch er ist kein Revanchist, sondern ein Revolutionär auf seine Art. Denn er will alles anders machen als die anderen. Er will etwas wiederherstellen, einen Schatz finden, der verloren gegangen ist. Und nichts anderes will ich im Grunde auch. Unermüdlich ist er in der ganzen Türkei unterwegs, geht in die Dörfer, fragt die Menschen nach ihren Rezepten, nach den wilden Kräutern und Gewürzen, die sie sammeln – »darunter aber keinen Menschen unter siebzig«, wie er lachend sagt. Gleichzeitig forscht er in alten Koch- und Tagebüchern und findet so pausenlos kulinarische Juwelen.
Jetzt lässt er eine nach der anderen bringen, bis sich der Tisch unter ihnen biegt. Als Erstes werden zwei Tabletts mit seinen wichtigsten Gewürzen herbeigeschafft: Sumach, Kreuzkümmel, Kurkuma, dazu allerhand Kräuter, für die ich keinen Namen habe, auch roter Basilikum und wilder Thymian, den er nach alter Tradition mit Bohnenkraut oder geriebenen Melonenkernen und gerösteten Kichererbsen mischt. Dann kommen eine Suppe aus getrocknetem Joghurt mit Wildkräutern und Koriandergrün, ein Linsensalat mit Bulgur, Paprika und Zitrone, Minipizzen mit Lamm- und Schaffleisch, garniert mit Petersilie und Knoblauch, Kebabs mit Sauerkirschen, Walnüssen, Granatäpfeln und Chili. Und schließlich der »Vornehme Ali«, eine Kreation aus gegrillten Auberginen mit Joghurt und Nüssen. Es sind lauter Gerichte aus einfachen Zutaten, die nur dank ihrer Harmonie und ihrer klugen Würzung grandios sind – hier kann ich wirklich eine Menge lernen. Und genau das ist die Philosophie von Musa: Die Küche der Reichen, sagt er, interessiert mich nicht, denn sie
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