Meine russische Schwiegermutter und andere Katastrophen
bewundernde Laute ausstieß, als ob es an mir tatsächlich etwas zu bewundern gäbe. Dass seine Ausdauer nicht zu erschöpfen war, dass er forderte und nahm und erst befriedigt schien, als ich es war.
Verschwitzt und ermattet lagen wir, ineinander verknotet, noch eine lange Weile ruhig auf dem Boden. Ich spürte meiner Welle nach, die diesmal einem Tsunami geglichen hatte.
»Alles okay, Paula?«, flüsterte Artjom in mein Ohr.
Zu mehr als einem »Mmmh« war ich nicht fähig.
Er knabberte schläfrig an meinem Hals. »Und das war erst der Anfang, Paula«, murmelte er.
Irgendwann löste er die Knoten, schlenderte in die Küche und kochte erneut Kaffee. Ich blieb träge auf dem Boden liegen und beobachtete ihn. Ein nackter Mann in meiner Küche, dachte ich, an den Anblick könnte ich mich gewöhnen.
Er versorgte mich mit einem süßen pechschwarzen Gebräu, brachte mir eine Decke und zündete sich eine Zigarette an.
»Das ist eine Nichtraucherwohnung«, protestierte ich.
»Das war eine Nichtraucherwohnung«, erwiderte er siegessicher.
Er zog sich an und telefonierte gleichzeitig auf seinem Handy. In einem irren Stakkato redete er auf jemanden ein und beendete das Gespräch mit einem: »Charascho, Mam, charascho.«
Mam? Hatte er etwa seine Mutter angerufen? Warum? Bevor ich fragen konnte, steckte er mir seine Zigarette in den Mund und gab mir einen Kuss auf die Stirn.
»Ich muss los, Paula. Wir sehen uns.«
Die Haustür klappte schneller zu, als ich »Tschüss!« sagen konnte. Trotzdem paffte ich zufrieden vor mich hin, schnupperte am Teppich, der ein wenig nach Artjom roch, und beschloss, ihm endgültig zu verzeihen. Was soll’s, dachte ich, geschwindelt haben wir doch alle schon. Und vielleicht war diese Sache mit der gefälschten Übersetzung wirklich nicht die Schuld der Polyakows. In diesem Moment wollte ich das gar nicht mehr so genau wissen.
Stattdessen, fand ich, sollte ich meine Einstellung zum Sex grundsätzlich überdenken.
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8
D er Karton auf meinem Schreibtisch bewegte sich leicht. Innen rumorte es. Durch die Luftlöcher versuchte ich, einen Blick auf seinen Inhalt zu erhaschen. Was immer da drin war, es lebte.
»Was haben Sie mir denn Schönes mitgebracht?«, fragte ich die ältere Dame, die mir mit fest zusammengepressten Knien und im Schoß gefalteten Händen gegenübersaß.
Frau Petrowa hatte mich wegen eines Zwistes mit ihren Nachbarn aus Ghana aufgesucht. Es ging um verliehene Haushaltsgegenstände, nichts Schlimmes, vielmehr eine Verkettung von Missverständnissen, die aus dem unterschiedlichen Verständnis der deutschen Sprache entstanden waren. Im Verlauf der Schlichtung gelang es mir sogar, ihr begreiflich zu machen, dass »Neger« nicht die korrekte Anrede für Menschen aus Afrika war.
Wieder wackelte der Karton. Ein Kratzen, ein Scharren war zu hören.
»Frau Petrowa, raus mit der Sprache: Was ist da drin?«
Sie lächelte freundlich und sagte: »Kuritsa.«
»Bitte?«
Immer noch lächelnd öffnete sie die Pappkiste. Aus sicherer Entfernung – ich war mit meinem Stuhl etwas zurückgerollt – beobachtete ich das Huhn, das nun keck den Kopf aus seinem Gefängnis hob und sich empört schüttelte.
»Ein Huhn, wie schön!«, rief ich. Ich ahnte, dass eine entsprechende Reaktion von mir erwartet wurde.
Frau Petrowa nickte eifrig.
»Und was macht das Huhn auf meinem Schreibtisch?«
»Ist fur dich. Gäschänk. Fur Hilfä.«
Ich hatte es befürchtet. »Das ist wirklich ganz, ganz lieb gemeint«, sagte ich, »und wie ich sehen kann, ist das ein besonders hübsches Huhn, aber …«
Frau Petrowa runzelte die Stirn und schob ihre Unterlippe vor, die Hände so fest verschränkt, dass die Knöchel weiß hervortraten. Das Huhn gackerte feindselig.
Vorsicht, Paula, dachte ich, Minenfeld! Schlag jetzt bloß die richtigen Haken.
»Wo kommt das Huhn denn her?«
»Aus Datscha.«
»Ah, Sie haben einen Garten. Und wie viele Hühner halten Sie dort?«
»Zwai.«
Ich war beschämt. Da hatte sie nur zwei Hühner und wollte mir eines davon schenken.
»Ich habe mir schon immer ein Huhn gewünscht«, sagte ich, »wie konnten Sie das nur wissen!«
Frau Petrowa entspannte sich.
»Leider habe ich keinen Garten. Nur einen Balkon. Ich fürchte, da wäre das Huhn sehr unglücklich und einsam.« Ich schaute angemessen betrübt. »Frau Petrowa, wäre es möglich, dass Sie mein Huhn in Pflege nehmen? Und ich erstatte Ihnen die Kosten für Unterkunft und Verpflegung?«
Sie überlegte einen
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