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Meine russische Schwiegermutter und andere Katastrophen

Meine russische Schwiegermutter und andere Katastrophen

Titel: Meine russische Schwiegermutter und andere Katastrophen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Fröhlich
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völlig überschätzt wurde.
    Arbeitsame Tage perlten bunt durch mein Leben. Ich vervollkommnete die Ausstattung meiner Kanzlei mit einem russisch-deutschen Wörterbuch, mehreren Flaschen guten Wodkas und Brandys, anständigen Trinkgläsern und großen Dosen starken schwarzen Tees.
    Weiterhin watete ich durch ein Blumenmeer, durch Wohnung und Kanzlei waberte ein schwerer, süßlicher Duft, auch die Konfektlieferungen rissen nicht ab, meine Klienten wussten die Leckereien zu schätzen.
    Mittlerweile war ich dazu übergegangen, Artjoms Briefe nicht mehr wegzuwerfen, sondern verwahrte sie in einer kleinen Schachtel unter meinem Bett. Das, was er mit dem ihm eigenen Hang zur Dramatik schrieb, war einfach zu schön, um vernichtet zu werden.
    Mal zitierte er Größen der russischen Literatur. Mal drohte er, seinem Leben ein Ende zu setzen, wenn ich mich nicht meldete. Dann wieder beschwor er unsere Seelenverwandtschaft und dass wir füreinander bestimmt seien. Jeder Brief endete mit dem Satz: Paula, ja ljublju tibja – ich liebe Dich.
    Dennoch, wenn ich seine Nummer in den Displays meiner Telefone erkannte, nahm ich nicht ab. Darya und Rostislav hatte ich verziehen. Ihrem herzenbrechenden Sohn noch nicht.
    Meine Eltern hielt ich mir leidlich vom Leib. Mutter vertröstete ich bei ihren Anrufen mit dem Hinweis, ich hätte zu viel zu tun, um vorbeizukommen. Die Kommunikation mit Vater mied ich völlig.
    Doch eines Tages erwischte er mich.
    »Paula«, dröhnte er in den Hörer, »es wird Zeit, dass wir ein ernstes Wort miteinander reden.«
    »Worüber denn?«
    »Mir sind komische Geschichten über deine Kanzlei zu Ohren gekommen.«
    »Und?«
    »Was sind das für Personen, die da ein und aus gehen?«
    »Mandanten. Vielleicht erinnerst du dich: Ich bin Anwältin.«
    »Mandanten? Was für Mandanten? Wo sollen die denn alle auf einmal herkommen?«
    Ich zögerte. War ich mutig genug? Ich war.
    »Aus Russland, Papa. Alles Russen. Du kennst doch den Spruch: Vorsicht, die Russen kommen!«
    Grußlos legte ich auf und begann, das Lied von Pippi Langstrumpf zu pfeifen. Ich fand, mein neuer Mut stand mir gut.
     
    Nachts wachte ich auf. Draußen vor dem Haus schepperte es, gegrölte Schlachtgesänge drangen durch mein Fenster. Betrunkene Jugendliche, dachte ich, müssen die ihr Mütchen unbedingt hier kühlen? Ich drehte mich auf die andere Seite und steckte meinen Kopf unter das Kissen.
    Dann klingelte und klopfte es an meiner Tür. Verschlafen taumelte ich durch den Flur und linste durch den Spion. Draußen stand Frau Hinrichs, die ältere Dame aus der Nachbarwohnung. Ich öffnete.
    »Frau Matthes, unten steht ein Mann!« Sie wirkte aufgeregt.
    »Ach, das ist nur einer? Klingt wie eine ganze Horde. Machen Sie sich keine Sorgen, das hört bestimmt gleich auf. Und wenn nicht, hole ich die Polizei.«
    »Ich glaub’, der will zu Ihnen.«
    »Zu mir?«
    »Er ruft immerzu Ihren Namen. Und andere Sachen, aber die versteh’ ich nicht. Das ist ein Ausländer!«
    »Oh.«
    »Das ganze Haus ist schon wach.«
    »Danke, Frau Hinrichs. Ich kümmere mich drum.«
    Ich schmiss die Tür zu, raste in die Küche und auf den Balkon, der zur Straßenseite lag. Unten stand Artjom. Er hielt sich an einer Straßenlaterne fest, sang eine schaurige Weise und ließ eine leere Ein-Liter-Schnapsflasche auf dem Asphalt zerbersten.
    Danach krabbelte er auf das Dach eines parkenden Autos und schrie: »Pauuuulaaaa, Pauuuulaaaa!« Es klang wie Wolfsgeheul. Auch in den umliegenden Häusern war inzwischen fast überall das Licht angegangen. Ich schaute auf mein Küchenradio. 3.17  Uhr.
    In Schlafanzug und Puschen flitzte ich drei Stockwerke runter und raus auf die Straße. Als Artjom mich sah, brüllte er: »Pauuuulaaaa, ja ljublju tibja!«
    »Was machst du hier? Bist du bescheuert?«, schnauzte ich ihn an.
    »Lublulublu«, blubberte es aus ihm heraus. Er war nicht bloß betrunken. Er war stockbesoffen.
    Ich zerrte ihn vom Autodach, legte seinen Arm um meine Schulter, bugsierte ihn zur Eingangstür und hoffte inständig, dass kein Nachbar die Szene beobachtet hatte. Willig ließ Artjom sich von mir durchs Treppenhaus zu meiner Wohnung schleppen und kam meinem Gesicht mit gespitzten Lippen gefährlich nah.
    »Pauuuulaaaa, pazeluj menja«, heulte er. Er stank wie ein alter sibirischer Bär.
    Meine Hoffnung war vergebens. Oben am Treppenabsatz wartete Frau Hinrichs. Mit ihrem wirren weißen Haar und dem gelben Morgenmantel ähnelte sie einem Racheengel.
    »Kennen Sie den

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