Meine russische Schwiegermutter und andere Katastrophen
deutete auf einen Salat Olivje und sah Darya streng an. Sie lächelte sardonisch und gackerte ein wenig. Ich sprang auf und hechtete durch den Garten zum Stall. Ich starrte in das Dunkel. Grabesstille.
»Agathe«, flüsterte ich, »lebst du noch?« In der hintersten Ecke raschelte es leise.
»Agathe?« Mein Huhn schlug mit den Flügeln und zeterte. Ich hatte es geweckt.
Schallendes Gelächter empfing mich, als ich mich wieder an die Tafel setzte. Es schien der Abend der Scherze zu sein. Und heiter ging es weiter. Artjom rollte einen großen Flachbildfernseher in den Wintergarten, hantierte umständlich mit den Kabeln und schob eine DVD ein: »Dinner for One«.
Danach schauten wir das russische Pendant mit dem Titel »Ironie des Schicksals«. Artjom gab vorab eine kleine Inhaltsangabe für uns Deutsche, eine synchronisierte Fassung hatte er leider nicht bekommen.
Kurz gesagt, ging es um einen sehr betrunkenen Mann, der aus Versehen nach St. Petersburg fliegt, sich aber nach wie vor in Moskau wähnt. Er landet in der falschen Wohnung, von der er denkt, dass es seine ist, und trifft dort auf eine wunderschöne Frau, in die er sich verliebt.
Der Film lief über zwei Stunden. Danach waren die deutschen Zuschauer ein wenig erschöpft, und Vater meinte, die Geschichte sei völlig unglaubwürdig gewesen. Denn so betrunken könne man ja gar nicht sein, dass man Moskau für St. Petersburg hielte.
Es dauerte eine weitere Stunde, bis Mischa Vater erklärt hatte, dass zu Sowjetzeiten alle Hochhaussiedlungen und Wohnungen gleich aussahen und es in den verschiedenen Städten Straßen gleichen Namens gab. Restlos überzeugt war Vater nicht, aber er gab klein bei.
Die Feier nahm langsam wieder Fahrt auf, eine kleine Karaoke-Anlage wurde mit dem Fernseher verbunden, wir grölten Abba-Songs und »Ti amo«. Um Mitternacht klirrten die Gläser, »Schampanskoje!«, wir fielen uns gegenseitig in die Arme, es wurde geküsst und gelacht.
Artjom brachte von draußen einen Sack herein und rief: »Väterchen Frost war da!«
»Wer?«, fragte ich Lena.
»Der russische Weihnachtsmann.«
Wir bekamen alle bunte Walenki, Filzstiefel, die wir fröhlich untereinander tauschten, bis jeder ein Paar hatte, das ihm annähernd passte. Gemeinsam gingen wir in den Garten, und Mischa und Artjom schleppten mit wichtigen Mienen große Kisten voller Feuerwerk heran.
»Die habe ich in Polen besorgt«, erklärte Mischa stolz, »so etwas gibt es hier gar nicht. Da ist echter Sprengstoff drin.«
Es folgten ohrenbetäubende Detonationen. Ich betete, dass kein Nachbar die Polizei verständigte, aber in den umliegenden Kleingärten war man den Krach wohl aus den letzten Jahren gewohnt. Tante Irmi suchte den Himmel nach alliierten Fliegern ab, konnte jedoch beruhigt werden. Ein Böller landete unmittelbar neben Agathes Behausung, es dauerte Wochen, bis sie wieder ein Ei legte.
Beschützend hatte Alexej Frau Hinrichs’ Hand ergriffen und ließ sie für den Rest der Nacht nicht mehr los.
»Ihr Vater ist ein beeindruckender Mann«, sagte Frau Hinrichs zu Rostislav, »er strotzt ja nur so vor Kraft.«
Das sei kein Wunder, wurde sie von Rostislav belehrt, sein Vater würde seit Jahrzehnten Urlaub auf der Krim am Schwarzen Meer machen. Und wie hieße es doch so schön: Wer dort bade, sei gegen dreizehn Krankheiten gefeit. Vater, der heute alles ganz genau wissen wollte, fragte, warum denn gerade dreizehn Krankheiten und nicht vierzehn, und um welche dreizehn es sich denn handele.
»Papa«, beschwichtigte ich, »nun lass mal gut sein. Das ist doch einfach nur eine schöne Geschichte.«
Bei dem Stichwort »schöne Geschichte« drehte Rostislav richtig auf. Wo wir uns gerade auf der Krim befänden – ob denn einer von uns mal etwas vom Schwalbennest gehört hätte. Wir verneinten artig.
Nun, das sei ein Schloss, das nahe Jalta vierzig Meter über dem Meer auf einer Klippe stehe. Dieses Schloss habe ein in St. Petersburg ansässiger deutscher Ölbaron, der Baron von Steingel, um die Jahrhundertwende – welche, ließ er offen – für seine Geliebte, eine russische Ballerina, gebaut. Für Rostislav ein weiterer Beweis für die deutsch-russische Freundschaft und die Kraft der Liebe.
»Maine Liebstä«, hob jetzt Deduschka an und sah Frau Hinrichs tief in die Augen, »Sie sind so grrazil. Waren Sie beim Ballett?« Frau Hinrichs errötete zart.
Vater hatte für heute genug russische Geschichte gelernt und wollte nach Hause. Auch Tante Irmi war müde,
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