Meine russische Schwiegermutter und andere Katastrophen
unheimlich. Das hatte ich zuletzt als Kind getan – und nur, weil ich musste.
Mutter war entzückt, als sie die Einladung bekam. Vater, der sich auf sein übliches Fondue nebst dezentem Tischfeuerwerk gefreut hatte, grummelte – aber nur ein bisschen. Sogar Tante Irmi und Frau Hinrichs waren geladen. Ein generationenübergreifendes Event stand uns bevor.
Kurz vor der Zielgeraden machte Artjom schlapp. Er hatte es im Rücken. Der ganze Stress. Selbst Deduschkas Wodkaumschläge und Einreibungen halfen nicht.
»Geh endlich zum Arzt«, sagte ich, als ich sein Gejammer nicht mehr hören konnte.
»Geht nicht«, sagte er, »der einzige russische Orthopäde in Hamburg hat Urlaub.«
»Warum muss es denn ein russischer Arzt sein? Du sprichst doch fließend Deutsch.«
»Deutsche Ärzte taugen nichts.«
»’tschuldigung, das wusste ich noch nicht.«
Nach einem weiteren Tag ununterbrochener Klagelaute schleppte ich ihn in eine orthopädische Praxis, von der ich schon viel Gutes gehört hatte. Gebückt und mit schmerzverzerrtem Gesicht stolperte er ins Behandlungszimmer, hoch erhobenen Hauptes und stocksauer kam er nach zwanzig Minuten wieder heraus.
»Na, was hast du?«, fragte ich.
»Einen Bandscheibenvorfall.«
»Oje, hat das der Arzt gesagt?«
»Nein, das sage ich. Aber dieser Trottel glaubt mir nicht.«
»Was hat der Arzt denn gesagt?«
»Irgendwas von Blockaden und verspannter Muskulatur. So ein Vollidiot.«
»Hat er dich gründlich untersucht?«
»Ha, ha«, Artjom lachte höhnisch, »was ihr Deutschen so gründlich nennt …«
»Und hat er irgendetwas gemacht? Oder dir etwas verschrieben?«
»Er hat ein bisschen an mir rumgeruckelt und gedrückt. Das war’s auch schon. Medikamente bekomme ich natürlich keine von dem Stümper. Der meint im Ernst, ich sollte mich mehr bewegen und in die Sauna gehen. Kurpfuscher!«
»Schatz, ich sag’s nur ungern«, wandte ich zaghaft ein, »aber du gehst schon viel aufrechter als vorhin …«
»Quatsch, das bildest du dir ein.«
Ich beschloss, das Thema auf sich beruhen zu lassen.
Zu Hause erzählte Artjom seinem Großvater lang und breit von seinem Abenteuer, einhellig schüttelten beide die Köpfe angesichts dieses ärztlichen Unvermögens. Trotz Fehldiagnose schritt Artjoms Genesung zügig voran, innerhalb eines Tages war er wieder der Alte.
»Bandscheibe, hmm?«, piekte ich ihn.
Er murmelte etwas von »Spontanheilung«.
Unseren Jahreswechsel begingen wir bodenständig in der Datscha. Alexej hatte seit seiner Ankunft wahre Wunder vollbracht, das Häuschen innen und außen komplett gestrichen, dazu eine Art verglasten Wintergarten gezimmert, der dank zweier Heizlüfter als zusätzlicher Raum genutzt werden konnte.
Die Bäume im Garten waren mit bunten Lichterketten geschmückt. Als wir eintrafen, stand Rostislav dick eingemummelt im Garten und wendete auf einem überdimensionierten Grill die obligatorischen Schaschliks.
Drinnen erwarteten uns weitere Berge an Nahrungsmitteln. Darya verteilte lustige Partyhütchen an die Gäste. Selbstredend setzte mein Vater seines nicht auf. Tante Irmi, deren Rollator seit der Hochzeit verschwunden war, wurde fürsorglich von Mischa zum bequemsten Sessel geleitet, in dem sie sofort versank, ihr Kinn reichte noch knapp über die Tischplatte.
Ich nutzte die Gelegenheit, um das Geheimnis des mysteriösen »P & K« auf unseren Tischdecken zu lüften, und setzte mich zu ihr.
»Tante Irmi, du hast uns so schöne Tischdecken geschenkt …«
»Was hab ich? Kind, du musst lauter sprechen.«
Aha, dachte ich, das Hörgerät im Ohr, aber mal wieder nicht eingeschaltet.
»Die Tischdecken«, brüllte ich, »die sind toll. Und dieses schöne Monogramm!«
»Ich hab mir gedacht, dass ihr euch darüber freut. Tischdecken kann man ja immer gebrauchen.«
»Genau. Und das ›P & K‹ hat bestimmt eine besondere Bedeutung …«
»Wieso? Das sind die Initialen eurer Vornamen.«
»Ach ja?«
»Ja, Kind, Paula und Karton.«
»Artjom«, schrie ich, »mein Mann heißt Artjom.«
»Na, siehst du«, sagte Tante Irmi zufrieden, »Tischdecken kann man immer gebrauchen.«
Die anderen hatten gespannt unseren unüberhörbaren Dialog verfolgt. Vater sah aus, als stünde er kurz vor einem Lachkrampf. In den folgenden Wochen war es ihm eine große Freude, Artjom stets mit einem »Hallo, Karton« zu begrüßen.
Wir machten uns über das Essen her.
Für meinen Geschmack gab es überdurchschnittlich viele Vorspeisen mit Hühnchen. Ich
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