Meine russische Schwiegermutter und andere Katastrophen
sagte zu, die Sache mit der Familienplanung zu überdenken.
Im ersten Moment war ich Darya ein wenig böse, dass sie meine Freundin verraten hatte. Aber nach dem ununterbrochenen Telefonterror – Mischa hatte mich mindestens dreißigmal am Tag angerufen, um nach seiner Frau zu fragen – nahm ich es ihr im zweiten Moment nicht mehr übel.
Als Lena sich für meinen Einsatz bedankte, sagte ich: »Gern geschehen. Aber bitte, bitte, löst eure Krisen in Zukunft mit weniger Dramatik.«
»Welche Dramatik?«, fragte Lena.
»Beim ersten Mal hast du Mischa verdroschen, beim zweiten bist du verschwunden …«
»Ja und? Das ist doch normal, oder?«
Wer übrigens auch verschwand, war Sergej, Mischas Neffe und Geschäftsführer. Gleichzeitig vermisste man die Wocheneinnahmen aus den Clubs. Wegen der nahen Verwandtschaft ließ Mischa nur halbherzig nach ihm suchen.
Der Chef musste sich wieder persönlich ums Bisness kümmern. Sein Versprechen, Lena mehr Freiheit zu gewähren, blieb daher kein leeres. Und wenn man die beiden in den folgenden Wochen zusammen sah, konnte man sich kaum ein harmonischeres Paar vorstellen.
Der Zauber der anbrechenden Weihnachtszeit sorgte auch sonst allerorten für eine versöhnliche Stimmung. Frau Gussewa teilte mir mit, dass ihr Mann zu ihr zurückgekehrt sei, nachdem er Post vom Jugendamt bekommen hatte. Er schwor ihr ewige Liebe und beteuerte, nie wieder Dummheiten zu machen.
»Das freut mich«, sagte ich zu ihr, »aber wenn Sie es sich anders überlegen sollten – ich kenne eine ausgezeichnete Scheidungsanwältin.«
»Nein, nein, mein Mann ist gutterr Mann. Trinkt nicht, schlägt nicht.«
Ja, dachte ich, manchmal braucht es wenig zum Glücklichsein.
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16
W eihnachten verlief für unsere Verhältnisse unspektakulär. Das lag vor allem daran, dass meine russische Verwandtschaft sich nicht viel aus diesen deutschen Feiertagen machte und das Fest entgegen ihrer sonstigen Gepflogenheiten unaufgeregt beging.
Am Heiligen Abend versammelten wir uns im Haus meiner Eltern, bestaunten den glitzernden Baum, tauschten Geschenke, Mutter servierte Gans. Darya deutete lächelnd auf den krossen Vogel und fragte: »Agathe?«
Sehr witzig, dachte ich, sehr witzig.
Schon Wochen vorher hatte ich gegoogelt, ob und wie wohl Juden diese Feier begingen. Auch wenn Chanukka nicht viel mit der christlichen Weihnacht gemein hatte, besorgte ich trotzdem einen Chanukka-Leuchter und bat Mutter, zum Nachtisch Latkes, Kartoffelpuffer, mit Apfelmus zu machen – sozusagen als Zeichen des Respekts und der Toleranz.
Die Puffer wurden kommentarlos und mit großem Appetit vertilgt. Als ich auf den traditionellen Leuchter mit seinen neun brennenden Kerzen deutete – »Extra für euch!« –, erntete ich ratlose Blicke.
»Ich dachte, ich mache euch eine Freude, wenn wir auch etwas Jüdisches dabeihaben«, erklärte ich.
»Das ist nett von dir«, sagte Artjom, »aber du weißt doch: Wir haben’s nicht so mit der Religion.«
Rostislav und Darya nickten beflissen. Na gut, dachte ich, dann eben nicht.
Insgesamt aber verlebten wir einen harmonischen Abend. Vater war ungewöhnlich heiter, er machte sogar Scherze, die nicht auf Mutters Kosten gingen. Ihr Verhältnis war sichtlich entspannt. Vielleicht hatte Mutters Aufmüpfigkeit ihrer Beziehung neuen Schwung gegeben.
Vater spielte mit Alexej Schach, wir anderen fläzten uns vollgestopft vor den Kamin und beobachteten wohlwollend die umherstolpernden Welpen, Darya döste ein wenig, Rostislav und Mutter schmiedeten weitere Pläne für den großen gemeinsamen Urlaub.
»Nur über meine Leiche!«, raunte ich Artjom zu. »Mit diesen Bekloppten verbringe ich doch nicht meine Flitterwochen.«
»Ich weiß gar nicht, was du hast«, antwortete mein Familientier, »das wird bestimmt ein Riesenspaß.«
»Fragt sich bloß, für wen …«
Silvester rückte näher. Darya war tödlich beleidigt, weil Artjom die Feierlichkeiten zum Jahreswechsel ohne ihr Einverständnis zusammen mit Mischa organisierte.
»Ich versteh sie nicht«, sagte ich zu Lena, »wir feiern doch alle zusammen. Was hat sie denn schon wieder?«
»Das verstehst du wirklich nicht«, sagte Lena, »Silvester ist für uns das allerwichtigste Fest im ganzen Jahr. Und das plant dein Mann, ohne vorher mit seiner Mutter zu sprechen? Das geht nicht.«
Ich fand den ganzen Aufwand, der darum gemacht wurde, schlichtweg übertrieben. Und der Gedanke, Silvester mit meinen Eltern zu verbringen, war mir
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