Meine russische Schwiegermutter und andere Katastrophen
haben, wie unangenehm.
Meine Gastgeber schien dieser Fauxpas nicht weiter zu stören, man drückte mir mit der Bemerkung: »Champagner!« ein Glas Sekt in die Hand, bugsierte mich in einen Campingstuhl an einem riesigen Tisch, der anschließend von Artjom und seinem Vater mit Bergen von unbekannten Nahrungsmitteln beladen wurde.
Während die Männer über den Rasen flitzten, beschränkte Darya sich darauf, aus dem Inneren der Laube Kommandos zu bellen. Nach verrichteter Arbeit entschuldigten sich die Herren, man wollte sich noch kurz frisch machen.
Ich blinzelte in die Abendsonne, hinter mir knisterten die Kohlen in einem Schwenkgrill, auf dem einen Meter lange Fleischspieße lagen, über mir im Apfelbaum zwitscherte eine Amsel, unter einem Busch schnarchte der Neufundländer. Eigentlich ganz schön hier, dachte ich.
Dann trat Darya auf die Veranda, und ich hielt den Atem an. Sie trug ein langes, eng geschnittenes Abendkleid, silberfarben, mit einem schwarzen, psychedelischen Muster und so tief dekolletiert, dass ich Angst hatte, ihre gewaltigen Brüste könnten jederzeit den Weg in die Freiheit finden. An ihren Füßen klebten kleine, silberne Schläppchen mit winzigen Abätzen, vorne verziert von grauen Federpuscheln. Solche Schuhe hatte ich zuletzt in einem Doris-Day-Film aus den Sechzigern gesehen. Ich war tief beeindruckt.
Sie schwebte auf mich zu, umarmte mich, sank auf den Stuhl neben mir und tätschelte mit ihrer üppig beringten Hand meinen Arm.
»Gutt, gutt«, sagte sie, »gutt, gutt.«
Rostislav und Artjom gesellten sich zu uns, beide nun in tadellos sitzenden Anzügen, einzig die Farbwahl wirkte ein wenig exzentrisch – der Vater in Lindgrün, der Sohn in changierendem Blau-Mauve.
Ich war eindeutig underdressed.
Familie Polyakow schaute mich erwartungsvoll an. Etwas unsicher, was nun zu tun sei, hob ich mein Glas und sagte: »Liebe Polyakows, ich möchte mich ganz herzlich für die nette Einladung bedanken. Da das nun eine Art Arbeitsessen ist, habe ich auch etwas mitgebracht …« Ich griff in meine Handtasche und holte den Schriftsatz nebst Chardonnay hervor.
»Njet! Kain Bisness. Ärrst essen«, rief Rostislav, griff nach dem Wein und deutete auf den Tisch. »Sakusski!«
»Vorspeisen«, übersetzte Artjom.
Ach, das sind erst die Vorspeisen, dachte ich, na dann, und steckte die Papiere wieder weg.
Das Gelage begann. Tapfer arbeitete ich mich durch Unmengen von Speisen, die auf meinen Teller geschaufelt wurden, begleitet von den charmanten Erklärungen Artjoms, was ich da jeweils zu mir nahm. Mein Teller leerte sich nie. Kaum hatte ich einen Happen der fremden Köstlichkeiten vertilgt, wurde mir mit wohlwollenden Blicken nachgelegt.
Es gab eingelegte Salzgurken, eingelegte Tomaten, eingelegte Pilze. Diverse Salate – mit Hering und roter Bete, mit Hühnchen, Kartoffeln und Erbsen, mit Kohl und Nüssen, alle mit Mayonnaise. Gekochte Zunge, geräucherten Fisch, Minipfannkuchen mit Schmand und Kaviar.
Und dazu schließlich doch Wodka, der in große Wassergläser geschenkt und mit Todesverachtung heruntergestürzt wurde. Vor jeder Runde stand Rostislav auf, brachte brüllend einen Toast aus – zumindest nahm ich an, dass es einer war –, und die anderen antworteten ebenso brüllend »Wasche sdarowje!« Nach dem dritten Toast brüllte ich mit und warf mein Glas an den Stamm des Apfelbaums, was von meinen Gastgebern erstaunt, aber kommentarlos registriert wurde.
Nach den Sakusski gab es eine Brühe, in der kleine, mit Fleisch gefüllte Teigtaschen schwammen.
»Tortellini!«, rief ich.
»Pelmeni«, verbesserte mich Darya.
Dann kamen die Fleischspieße.
Danach gab es Buttercremetorte, dann Gebäck, Pralinen und starken schwarzen Tee.
Mir war ein wenig übel.
»Könnte ich wohl noch einen klitzekleinen Wodka haben? Zur Verdauung?«, fragte ich schüchtern. Rostislav schenkte mein Glas randvoll und betrachtete mich mit einem milden Lächeln.
»Jetzt müssen Sie etwas sagen«, flüsterte Artjom mir zu, »in Russland heißt es: Trinken ohne Trinkspruch ist Trunksucht.«
Mit kleinen Gleichgewichtsstörungen erhob ich mich und lallte feierlich: »Ich trinke auf das Wohl meiner wunderbaren Gastgeber. Und auf unseren gemeinsamen Erfolg. Eines sage ich Ihnen: Reimers mache ich platt. Platt mach ich den!« Ich leerte mein Glas in einem Zug, Artjom übersetzte, das Ehepaar Polyakow klatschte begeistert.
Während des Essens hatte ich immer wieder versucht, das Gespräch auf den eigentlichen
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