Meine russische Schwiegermutter und andere Katastrophen
die Haare.
»Hallo, Marlene«, begrüßte ich sie, »deine Brut säuft gerade ab.« Mit einem Aufschrei stürzte sie zum Strand.
»Was hast du nur gegen die arme Frau?«, fragte Artjom.
»Nichts«, sagte ich, »ich wollte bloß nicht, dass ihren Kindern etwas passiert.«
Abendessen gab es zwischen achtzehn und einundzwanzig Uhr. Mutter wollte möglichst früh speisen – »Sonst ist das Büfett so leer gefuttert. Das kennt man ja.«
Ich bestand darauf, später zu gehen, in der Hoffnung, Marlene und ihrem Nachwuchs zu entkommen.
Zum Glück brauchte Darya ewig, um sich anzukleiden. Kurz vor Ultimo rasten wir durch die Katakomben Richtung Restaurant. Der Speisesaal war riesig und hatte tatsächlich nur an der Frontseite Fenster zum Meer.
Wir ergatterten einen Tisch am entgegengesetzten Ende und kämpften uns durch ein undurchsichtiges Büfettsystem. Es gab mehrere mittig im Raum plazierte Essensausgaben. Mir war nicht klar, nach welcher Logik sie geordnet waren, allein die Dessertstation war zweifelsfrei auszumachen. Also häufte ich mir von allem ein wenig auf. Nach dem Fraß im Flieger hatte ich Hunger.
Den anderen ging es ebenso. Artjom und Rostislav balancierten ihre überladenen Teller geschickt zurück und stürzten sich auf ihr Essen wie die Wölfe. Ich hatte mich längst an russische Tischgepflogenheiten gewöhnt, manchmal ertappte ich mich selbst dabei, den linken Arm lässig aufzustützen und das vorher klein geschnittene Fleisch nur mit der Gabel aufzuspießen.
Laut und lustig ging es beim Essen zu, es schmeckte uns, und wir sprachen reichlich dem guten spanischen Rotwein zu. Unser deutsch-russisches Sprachgetümmel wurde nur gelegentlich von Rostislavs Handyklingeln unterbrochen – »Bisness«.
Am Nebentisch saß ein Ehepaar mittleren Alters mit einer schwer pubertierenden Tochter. Die Familie hatte sich nicht viel zu sagen, schweigend nahmen sie ihr Mahl zu sich und beobachteten uns pikiert. Als sie aufstanden, zischte die Frau ihrem Mann unüberhörbar zu: »Russen – stinken vor Geld, aber Manieren kann man sich eben nicht kaufen …«
Dämliche Arschlöcher, dachte ich und überlegte, ob ich etwas sagen sollte. Vater war aufgestanden, tupfte sich mit einer Serviette den Mund ab und fragte laut: »Was haben Sie da gerade gesagt?«
»Nichts, gar nichts«, stammelte die Frau, der Mann zog es vor, angestrengt in eine andere Richtung zu blicken, die Tochter wurde rot.
»Dann ist es ja gut.« Vater setzte sich wieder und sagte zu Rostislav und Darya gewandt: »Manche Menschen haben einfach kein Benehmen.«
Darya tätschelte freundlich seine Hand, Mutter meinte: »Gut gemacht, Karl.«
Halleluja, dachte ich, der Herr sei gepriesen. So viel Einsatz für die angeheiratete Familie hatte ich Vater wahrlich nicht zugetraut. Wahrscheinlich hatte ich ihn immer verkannt. Lena fand ihn ja sogar charmant.
Nach der Völlerei waren wir geschafft, nur Mutter und Rostislav mobilisierten ihre letzten Reserven und wollten sich unbedingt noch das allabendlich stattfindende Showprogramm ansehen. Wir anderen winkten dankend ab.
Auf dem Weg zu unseren Appartements ertönte plötzlich von irgendwo oben ein »Huhu«. Marlene lehnte über einer Balkonbrüstung im zweiten Stock und winkte.
»Habt ihr noch Lust, auf einen Absacker hochzukommen?« Sie wedelte mit einer Flasche Prosecco. »Ich hab genug da für einen lustigen Abend.«
»Och …«, Artjom schien ernsthaft über das Angebot nachzudenken.
»Nein danke«, rief ich schnell, »wir haben noch etwas vor. Mein Mann und ich wollen ins Bett.«
Enttäuscht zog Marlene ihren Kopf zurück. Artjom lachte leise. »Sag mal, kann es sein, dass du ein bisschen eifersüchtig bist?«
»Ich? So ein Quatsch!«
Am dritten Tag des Urlaubs stellte sich eine gewisse Routine ein. Der russische Teil der Familie schlief gern länger, die Deutschen waren spätestens um sieben Uhr dreißig wach. Dann nämlich schickten diejenigen Eltern, die gern noch etwas Ruhe haben wollten, ihre Kinder auf den Minigolfplatz.
Mit kleinen Augen saß ich Morgen für Morgen auf der Terrasse, schlürfte Kaffee, ließ mir die Golfbälle um die Ohren pfeifen und beobachtete das Treiben. Manchmal fühlte ich mich bemüßigt, einzugreifen, und rief Sachen wie: »Hey, ihr seid hier nicht beim Wrestling« oder »An den Haaren ziehen ist verboten!« Keiner der Terroristen schenkte mir die geringste Beachtung.
Gegen zehn kroch Artjom aus seinem Bett und setzte sich zu mir.
»Ach, Kinder
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