Meine Schwester ist eine Mönchsrobbe - Frascella, C: Meine Schwester ist eine Mönchsrobbe
hingekriegt?«, fragte Vincenzo immer noch lachend.
»Ja, wer wohl, hä?«, wiederholte ich, seinen Akzent nachahmend.
Und alle krümmten sich vor Lachen, hieben einander abwechselnd auf die Schulter oder auf den Tisch, eingeschüchtert und erleichtert zugleich.
Was für eine Gurkentruppe! Und ich musste mit ihnen rumhängen, sonst hätte ich wie einer gewirkt, der sich schon am ersten Tag drückt. In Wirklichkeit wollte ich mich nur ein bisschen in der Gruppe verstecken, um die Kräfteverhältnisse bei der Trak zu sondieren und dann still und leise »aufzublühen« und mich in ein paar Monaten auch an den runden Tisch der Bosse zu setzen.
Schon sah ich mich im schwarzen Arbeitskittel als Leiter von irgendwas, egal was, Leute hierhin und dorthin schicken, ohne je die Stimme zu erheben, ohne einen Muskel zu rühren, alles nur kraft meines ganz besonderen diktatorischen Blicks.
Keiner der Molisaner rauchte. Ich leerte das Tablett und ging in die Hitze draußen, um eine zu rauchen. Von dort, wo ich stand, konnte ich die Pförtnerloge sehen, und weiter hinten Richtung Straße.
Ich hörte Schritte und drehte mich um. Die Oberlippe schweißbedeckt, eine filterlose Zigarette zwischen den Zähnen, grüßte mich Mario mit erhobener Hand. In der Kantine hatte ich ihn beobachtet, wie er sich, neben George sitzend, aber nicht wirklich bei George, von Zeit zu Zeit an den Tisch der Bosse wandte, als wüsste er, dass er schon im nächsten Moment seinen Stuhl umdrehen und sich unter sie mischen könnte.
»Wie läuft’s an deinem ersten Tag?«, fragte er.
»Hervorragend.«
»Ziemlich harter Tag, um hier anzufangen.«
»Ich hab schon schlimmere gehabt.«
Er nickte. »Haben wir alle. Wie alt bist du?«
»Siebzehn. Und du?«
»Fünfundzwanzig.« Er nahm die Zigarette in die Hand, und ich bemerkte etwas, was ich wegen der Handschuhe bis jetzt nicht hatte sehen können: Ihm fehlten zwei Finger der rechten Hand, der Mittel- und der Ringfinger. Weg, sauber abgeschnitten.
Ich wandte den Blick in Richtung Hof.
Meine Stimme zitterte leicht, als ich fragte: »Wie lange arbeitest du schon bei der Trak?«
»Acht Jahre. Ich war so alt wie du, als ich hier zum ersten Mal reingekommen bin.«
»Ich hätte dir weniger Jahre gegeben.« Und zwei Finger mehr, verdammte Scheiße!
»Die meisten schätzen mich älter.« Er spuckte Tabakkrümel von seiner Zunge. »Hier drinnen kann ich alles machen«, sagte er ziemlich stolz. »An der Schneidemaschine bin ich super.«
»Hab ich bemerkt.«
Er zeigte mir seine gesunde Hand. »Die Chefs hier tragen mich auf Händen. Ich kriege sie alle rum, wenn ich will.«
»Das habe ich sofort begriffen.«
»Man sieht das, oder?«
»Und ob man das sieht!«, rief ich aus.
Einen Augenblick nur lag ein zufriedener Ausdruck auf seinem Gesicht, dann verflog er jäh.
»Aber das ist mir scheißegal«, sagte er mit heiserer Stimme. Seine Hand ging zum Mund, und er nahm sich die Zigarette von den Lippen. Ich sah das vernarbte Gewebe auf den Fingerstummeln. Das schlechte Mittagessen kam mir hoch. Mühsam schluckte ich.
Mario schaute auf seine Armbanduhr und warf die Kippe weg. »Es ist fast so weit. Diese letzten Minuten vergehen am schnellsten.«
»Stimmt.« Ich drückte meine Zigarette aus.
Als Maschine war die Schneidemaschine an sich schon brutal. Wenn ich an Mario dachte, konnte ich sie fast nicht mehr ansehen. Mir schien, als lägen überall abgerissene Finger herum, und noch bevor George sein erstes Stück nach dem Mittagessen rangeschoben hatte, sah ich sie zu Hunderten herumwimmeln: grauenhafte Finger wie kleine, blutige Schlangen, deren Bewegungen Streifen aus organischer Materie und Jauche auf dem Boden um mich herum hinterließen.
Meine Finger waren mir lieb und teuer, verdammt. Ich benutzte sie gerne, und sei es bloß zum Popeln.
Der metallische Arm schickte Georges Stück auf das Laufband. Es ging wieder los.
»Kamerad!«, brüllte Giulio mir ein paar Minuten später ins Ohr, so dass ich zusammenzuckte. »Du wirst ziemlich langsam!«
Ich hatte mich in Gedanken so weit entfernt, dass ich erst jetzt bemerkte, wie sich die Teile auf meinem Abschnitt des Förderbands häuften. Ich warf einen Blick auf Vincenzos Band: total leer. Ganz hinten gähnte der Typ an der Auffangstelle. Und George starrte mich zwischen zwei Stücken mit der üblichen finsteren Miene an.
Giulio stoppte das Band und reichte mir ein Blech. »Beweg deinen Arsch, Kamerad! Pressen!«
Ich gehorchte, aber sehr
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