Meine Schwester ist eine Mönchsrobbe - Frascella, C: Meine Schwester ist eine Mönchsrobbe
halbvoll war.
»Wieso geht das bei dir so schnell?«
Ich zeigte auf die erste Presse. »George sagte, dass du ihm zu langsam erscheinst. Wir haben den Rhythmus gesteigert, damit du aufwachst.«
Vincenzos Miene wurde finster, er wirkte beunruhigt. »Ehrlich?«
»Ja.«
»Das hat er gesagt?«
»Hat er.« Ich zuckte die Achseln. »Mach dir keine Sorgen«, sagte ich. Doch jetzt war er doppelt und dreifach beunruhigt.
Seine Landsleute kamen uns mit einer Miene entgegen, als wären sie gerade auf dem Friedhof gewesen. Ich zündete mir eine Zigarette an, während Vincenzo ihnen aufgeregt den Quatsch erzählte, mit dem ich gerade geblufft hatte.
»Was hältst du davon?«, fragte mich einer, nachdem sie mit ihrem Gelaber im Dialekt fertig waren.
Verächtlich schnaubte ich Rauch aus. »Meiner Meinung nach müsstet ihr euch ein bisschen mehr ins Zeug legen.«
»Meinst du?«
»Das meine ich.« Alle vier blickten sich mit hängenden Schultern an. Ich fügte hinzu: »Im Grunde geht es mich aber einen Dreck an, ob ihr gut oder schlecht arbeitet, oder? Von mir aus könnt ihr den ganzen Tag rumtrödeln. Ich warte sowieso nur auf den Anruf meines Managers und dann …«, ich machte eine Handbewegung, »sag ich Ciao! Euch vieren, ganz Molise und diesen Scheißpressen!«
Die Zigarette im Mund, ging ich mit flotten Schritten zu der Schar der Blaumänner. Auf einer Fläche, die durch gelbe Striche markiert war wie eine Bushaltestelle, standen etwa dreißig Personen. Die gellenden Stimmen der Frauen, fast alle im mittleren Alter, übertönten die Männer und den Lärm der laufenden Maschinen, die warteten.
»Wie geht’s?«, fragte mich eine Verrückte voller Ohrringe, die vorne ebenso flachgehobelt war wie hinten.
»Läuft alles ruhig. Und bei euch?«
Hätte ich das bloß nicht gesagt! Sie fingen allesamt an, sich über die Arbeit zu beklagen, die Arbeitskleidung, die Frühschicht, den Hunger, die Müdigkeit, ihre Männer und ihre Kinder.
Die bionische Type, die ich schon gesehen hatte, riet mir: »Hau ab von hier, solange du noch jung bist!«
Sie sah alt und traurig aus. »Und du wartest nur noch auf die Rente, oder?« fragte ich, nur um etwas zu sagen. »Wie lange hast du noch … zwei, drei Jahre?«
Die Frauen sahen mich entsetzt an. »Hey, ich bin erst sechsunddreißig!«, rief die Bionische aus.
Verfluchte Scheiße. Ich hätte sie auf sechzig geschätzt. »Klar doch, das sieht man ja. War nur ein Scherz.« Ich lächelte.
Ihre Miene hellte sich etwas auf, das verschwitzte Gesicht verzog sich zu einem nasalen Kichern. Ihre Kolleginnen, die genauso verunstaltet waren wie sie, wenn nicht schlimmer, stimmten ein. Vielleicht waren diese Tussis, die wirkten wie jenseits der fünfzig, sogar jünger als ich. Ich ging weiter und entdeckte den Kaffeeautomaten. Davor stand ein großer, fetter Mann, in allen Teilen fehlproportioniert, um die vierzig – vielleicht war er aber auch erst fünfzehn.
»Wie geht’s?«, fragte er mich.
Offenbar war das hier die übliche Frage. Es musste immer irgendwie gehen, sonst war man nicht normal.
»Phantastisch«, antwortete ich und stellte mich vor. Er hieß Alfonso. Ein rüstiger, stark behaarter Kerl mit einem etwas unheimlichen Silberblick. Er gab mir einen Kaffee aus. Nachdem ich eine hochinteressante Aufklärung darüber erhalten hatte, wie auch ich in den Besitz des blauen Schlüsselchens für den Kaffeeautomaten gelangen konnte – mündliche Anfrage, Antragsformular ausfüllen, dann etwa zwei Wochen Wartezeit –, kippte ich rasch die Brühe runter, die die Maschine ausgepisst hatte, bloß damit ich ihm nicht ins Gesicht gähnte.
Er erklärte mir, wohin die Geldscheine und Münzen gesteckt wurden, um das Schlüsselchen aufzuladen.
»Alles klar?«, fragte er schließlich ernst.
Ich überlegte, ob er für die Verteilung der Schlüssel Provision erhielt. Vielleicht bastelte er sie sogar selbst während der Arbeitszeit und sah sich schon in wirtschaftlicher Unabhängigkeit auf Barbados, wie er Daiquiris schlürfte und den weiblichen Eingeborenen den Hintern tätschelte, stolz, es aus eigener Kraft nach oben geschafft zu haben.
»Also sag mir, ob du einen brauchst, dann kümmere ich mich darum«, schloss er.
»Danke, Alfonso. Aber ich bin noch in der Probezeit.«
Er nickte seufzend. Ich hatte ihn enttäuscht. Mit mir war die Karibik nicht zu machen. Ich zeigte ihm die Molisaner, die abseits vom Haufen standen und sich lebhaft im Dialekt unterhielten. »Die werden bestimmt
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