Meine Schwester lebt auf dem Kaminsims: Roman (German Edition)

macht er so was wieder, was ich nicht glaube. Daniel will nur überall der Beste sein. Seit er mich verdroschen hat, lässt er mich in Ruhe. Er hat mich seit Ewigkeiten nicht mehr rumgeschubst. Seit Tagen hat er mich nicht mehr getreten oder gehauen oder Arschloch genannt. Es ist vorbei. Ich habe verloren, und damit ist es okay.
    Nein, ist es nicht, aber ich kann hier nicht gewinnen, deshalb versuche ich ein guter Verlierer zu sein. In Wimbledon gibt es diesen Tennisspieler, der immer wieder ins Finale kommt, aber bisher noch nie den Pokal gewonnen hat. Alle sagen immer Er ist ein echter Gentleman und Toller Sportsgeist , weil der Mann immer nur lächelt und die Achseln zuckt und sich damit abfindet, dass er nur Zweiter wird. Und das mach ich jetzt auch, denn wenn ich versuchen würde, Daniel zu besiegen, würde der mich nur kurz und klein schlagen.
    Mitten in der Mathestunde sagte Mrs. Farmer, sie müsste etwas sehr Wichtiges bekannt geben. Die Haare auf ihrem Muttermal zitterten, und ihr Kinn zuckte. Sie sagte Die Ofsted-Leute kommen und schaute dabei zur Tür, als würden die jeden Moment hereinstürmen. Ofsted hörte sich wie eine Armee oder so was an, und ich überlegte gerade, ob die wohl bewaffnet waren, als Mrs. Farmer erklärte Das sind Inspektoren . Daniels Hand schoss hoch, und er sagte Mein Dad ist Oberinspektor bei der Polizei . Mrs. Farmer sagte Genug geprahlt , und Sunya lachte besonders laut. Diese Inspektoren sind nicht von der Polizei , sprach Mrs. Farmer weiter. Das sind Männer und Frauen, die Schulen begutachten und ihnen Noten geben – sehr gut, gut, befriedigend oder mangelhaft. Sie wurde immer blasser, und sogar ihre farblosen Augen sahen noch heller als sonst aus. Nächste Woche werden sie meinen Unterricht begutachten, und es ist sehr wichtig, den Inspektoren zu zeigen, wie gut wir hier arbeiten. Es ist dann besonders wichtig, dass ihr euch alle sehr gut benehmt. Sie werden euch vielleicht Fragen stellen, und dann müsst ihr höflich und klug sein und nette Sachen über eure Klasse sagen. Sunya grinste. Ich wusste genau, was sie dachte, und hätte sie gerne angelächelt, machte es aber dann doch nicht.
    In der Spielzeit blieb ich zwölf Minuten im Klo, um Dad zu ehren. Ich hielt die Hände unter den Trockner und stellte mir vor, dass er ein feuerspeiendes Ungeheuer sei. Meine Hände verbrannten, und die Flammen waren furchtbar heiß, aber ich war so stark, dass ich es aushalten konnte, ohne zu schreien. Das war ein ganz gutes Spiel, aber nicht so gut, wie mit Sunya auf der Bank zu sitzen oder durch die Geheimtür zu gehen. Das kann ich jetzt leider nicht mehr machen. Falls es wirklich einen Himmel gibt und Rose alleine da oben sitzt, muss Gott mich auch reinlassen. Deshalb muss ich die Zehn Gebote befolgen. Alle. Auch das vierte.
    Vor zwei Tagen habe ich zum letzten Mal mit Sunya gesprochen. Seit dem Brathähnchen hat Dad uns jeden Tag in die Schule gefahren und Abendessen gekocht. Ich glaube also, dass ich alles richtig mache. Aber es fällt mir echt schwer, und als ich den Klebknetering in meiner Schublade fand, krampfte sich mein Magen zusammen und tat weh. Es müsste ja eigentlich jetzt einfacher sein, weil wir keine Freunde mehr sind, trotzdem fühlte ich mich vorher besser, als Sunya mich immer fragte Was ist denn los und Warum benimmst du dich so komisch. Da konnte ich wenigstens noch ihre Stimme hören.
    Ich komme mir vor wie einer dieser Drogensüchtigen in Filmen, die nur noch an ihre Pillen denken können, und wenn sie keine haben, drehen sie durch und überfallen einen Supermarkt, um an Geld zu kommen. Natürlich habe ich nicht vor, den Schulverkauf zu überfallen oder so. Sunya würde selbst dann nicht meine Freundin sein wollen, wenn ich ihr die ganze Schokolade aus dem Schrank der Sekretärin geben würde, in deren Büro der Schulverkauf mittwochs und freitags während der Vormittagspause stattfindet.
    Heute Abend kam Leo zum Abendessen zu uns. Dad machte Pizza. Er hatte sie fertig im Laden gekauft, aber er belegte sie noch mit Schinken und Ananas aus der Dose, damit sie ein bisschen exotischer war. Das hat Mum immer gemacht. Es war ziemlich still beim Essen. Dad sprach nicht mit Leo, und Leo sah nervös aus, und ich merkte, dass Jas sich auch nicht wohlfühlte. Sie stellte mir ständig Fragen, deren Antwort sie schon kannte. Sie fragte Und, wie läuft’s mit dem Fußball , obwohl ich ihr letzte Woche erzählt hatte, dass das nächste Spiel erst nach Weihnachten stattfindet.