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Meine Schwester lebt auf dem Kaminsims: Roman (German Edition)

Meine Schwester lebt auf dem Kaminsims: Roman (German Edition)

Titel: Meine Schwester lebt auf dem Kaminsims: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annabel Pitcher
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nun wieder damit anfing. Sie beachtete ihn nicht und kratzte sich an der Schläfe. Wie sieht der Teufel aus , fragte sie mit unschuldiger Stimme, und alle lachten. Sunya lächelte nicht einmal, sondern schaute Mrs. Farmer nur mit diesen großen fragenden Augen an. Daniel wurde rot, und sein Mund sah aus wie ein O. Das reicht , sagte Mrs. Farmer, und die Worte hörten sich seltsam an, weil sie zwischen Mrs. Farmers zusammengebissenen Zähnen herausgequetscht wurden, was mich an Käsereiben erinnerte. Wir wollen uns jetzt die anderen Gebote anschauen.
    Sunya zwinkerte mir zu, und ich zwinkerte zurück, aber ich fühlte mich schlecht wegen des vierten Gebots. Du sollst Vater und Mutter ehren . Das hatte Gott gesagt. Und ich zwinkerte einer Muslimin zu, als wäre es völlig in Ordnung, etwas zu tun, was Dad verabscheuen würde. Mir wurde plötzlich klar, dass es ganz egal war, ob mein Engel von Wolke zu Wolke sprang und es bis ganz nach oben schaffte auf dem goldenen Karton. Denn wenn es einen echten Himmel gab, würde ich da nicht reinkommen, weil ich gegen ein Gebot verstieß. Und irgendwie musste ich da an Rose denken. Ich weiß ja nicht, wo ihre Seele jetzt steckt, aber wenn sie im Himmel gelandet ist, dann ist es dort bestimmt echt einsam. Ich stellte mir Rose’ Geist vor, wie er ohne Ellbogen und Schlüsselbein und ohne Freunde und ihre Familie da oben auf einer weißen Wolke hockte. Dieses Bild kriegte ich den ganzen Tag lang nicht aus meinem Kopf, und deshalb konnte ich nicht einschlafen.
    Etwas raschelte im Busch, und Roger sprang von meinem Schoß und tappte ins Dunkle. Sein Schwanz streifte das hohe Gras. Ich beugte mich über den Teich und versuchte, in dem silbrigen Wasser meinen Fisch zu sehen. Er versteckte sich unter einem Seerosenblatt und war ganz allein. Ich tauchte meine Fingerspitzen ins Wasser und bewegte sie ein bisschen, und er kam angeschwommen und knabberte an meinen Fingern, als seien sie Futter. Ich fragte mich, was aus seinen Eltern geworden war. Vielleicht hatte er sie in einem Fluss oder im Meer verloren. Oder der Teich war so was wie der Fischhimmel, und seine Familie lebte noch. Und obwohl ich wusste, dass das nicht sein konnte, tat mir mein einsamer alter Fisch so leid, dass ich ewig bei ihm saß und wahrscheinlich noch den Rest der Nacht am Teich geblieben wäre, wenn das Kaninchen nicht geschrien hätte.
    Ich legte die Hände auf die Ohren und kniff die Augen ganz fest zu, aber das Schreien war zu laut. Und dann tauchte Roger auf und rieb seinen Kopf an meinem Ellbogen, und vor mir lag ein totes Kaninchen. Ich wollte nicht hinschauen, aber ich konnte es nicht lassen, so wie wenn jemand Essensreste oder ein Muttermal im Gesicht hat und man irgendwie immer hinstarren muss. Das Kaninchen war noch ein Baby, winzig, mit flauschigem Fell, und seine Ohren sahen ganz frisch aus. Ich versuchte, seine Nase anzufassen, aber jedes Mal wenn meine Finger in die Nähe der Schnurrhaare kamen, zuckten sie zurück, als hätten sie einen elektrischen Schlag gekriegt. Ich wollte das Kaninchen nicht da liegen lassen, konnte es aber auch nicht anfassen. Irgendwann nahm ich mir zwei Äste, packte das Kaninchen damit an einem Ohr und trug es zum Busch. Dort bedeckte ich es mit Gras, Blättern und allem, was ich finden konnte. Roger schnurrte neben mir, als hätte er mir eine große Freude gemacht.
    Ich ging in die Hocke und schaute ihm in die Augen und sagte ihm das fünfte Gebot. Du sollst nicht töten . Roger schnurrte noch lauter und reckte stolz den Schwanz hoch. Er kapierte es einfach nicht, und ich war echt wütend auf meinen Kater. Ich ließ ihn noch ins Haus, machte ihm aber die Tür zu meinem Zimmer vor der Nase zu. Dann versuchte ich zu schlafen. Und zum ersten Mal überhaupt träumte ich von Rose.
    Mrs. Farmer hat die Zehn Gebote neben meinem Platz an die Wand gehängt. Selbst wenn ich versuchen würde, das vierte Gebot zu vergessen, könnte ich es nicht. Es kommt mir vor, als würden Dads Augen an der Wand hängen und mich beobachten.
    Zu Anfang der Mathestunde flüsterte Sunya mehrmals Was ist los , und ich antwortete immer Nichts , aber ich konnte sie nicht anschauen, ohne an Rose zu denken. Schließlich sagte sie Na dann und fragte mich, ob ich neue Racheideen hätte. Ihre Brüder finden es nicht richtig, einen Zehnjährigen zu verprügeln, deshalb brauchten wir einen neuen Plan. Sunya will es Daniel unbedingt heimzahlen, aber ich will das nicht. Sie behauptet, wenn wir ihn davonkommen lassen,

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