Meine Schwester lebt auf dem Kaminsims: Roman (German Edition)
schloss sich um die Ascheflocken. Was , sagte er atemlos, und sein Gesicht war weißer als der Schnee. Mach es nicht , wiederholte ich. Behalt den Rest . Dad schüttelte den Kopf. Rose ist nicht mehr da , sagte er stockend. Er hielt die Hand mit der Asche hoch. Das ist nicht mehr sie . Ich hatte aufgehört zu weinen. Ich weiß , sagte ich. Aber sie war es mal. Das war ein Teil von ihr. Du solltest den Rest behalten. Nur das bisschen. Dad schaute mich an, und ich schaute ihn an, und etwas Großes bewegte sich zwischen unseren Augen hin und her. Er ließ die restliche Asche wieder in die Urne fallen.
Wir froren und gingen ins Haus. Dad ging kurz nach oben und kam dann wieder runter, und Jas kochte Tee für uns drei. Wir tranken ihn im Wohnzimmer, ohne zu reden. Der Kaminsims sah leer aus ohne die Urne, und mir wurde klar, dass Dad die Urne in sein Schlafzimmer gebracht hatte. Wo nicht mehr jeder sie sieht. Wo er sie aber sehen kann, wenn er sie braucht, was bestimmt an den richtig traurigen Tagen wie dem neunten September so sein wird. Ich werde jedenfalls mein ganzes Leben lang nie vergessen, dass Roger am sechsten Januar gestorben ist, auch wenn ich noch Millionen von Haustieren haben werde. Aber keins von ihnen wird so toll sein wie mein Kater.
Als wir unseren Tee ausgetrunken hatten, guckten wir uns alle drei nur an. Heute Morgen war etwas wirklich Großes passiert, und alles hatte sich verändert. Und obwohl mein Bauch und mein Herz und mein Hals wehtaten und mir immer wieder die Tränen kamen, wusste ich, dass diese Veränderung nicht nur schlecht war, sondern dass auch etwas Gutes passiert war.
Jas aß immer noch nichts. Dad trank immer noch Alkohol. Aber wir blieben den ganzen Tag zusammen. Im Wohnzimmer. Wir redeten nicht viel, aber wir wollten auch nicht in unsere Zimmer gehen. Wir schauten uns zusammen einen Film an. Jas fragte mich, ob ich Spider-Man sehen wollte, aber ich sagte Nein , deshalb legte sie eine Komödie ein. Wir lachten nicht, an den lustigsten Stellen lächelten wir aber. Dad sagte zu Jas Deine Haare gefallen mir , und sie antwortete Danke , und er sagte Du solltest sie pink lassen . Und als es Zeit war, ins Bett zu gehen, und die Sterne am Himmel leuchteten wie Hunderte von Katzenaugen an einer dunklen Straße, umarmte mich Dad zum zweiten Mal, und es fühlte sich so stark und fest und gut an wie beim ersten Mal. Als ich unter meiner Decke lag und mich nach Roger sehnte und mir wünschte, er säße auf dem Fensterbrett, anstatt unter der Erde zu liegen, kam Dad mit einer heißen Schokolade rein. Er reichte mir den Becher, und es war schön, den Dampf im Gesicht zu spüren. Und diesmal hatte Dad das Pulver richtig umgerührt.
22
Am nächsten Tag fing die Schule wieder an. Ich wartete darauf, dass Roger mir um die Beine strich, als ich morgens aufstand, oder dass er mir auf den Schoß sprang, während ich meine Chocos aß, oder dass er mir den Schwanz um die Knöchel ringelte, während ich mir die Zähne putzte. Das Haus fühlte sich leer an ohne ihn. Ich fühlte mich leer ohne ihn.
Dad stand rechtzeitig auf, um uns zur Schule zu fahren. Er war ein bisschen verkatert, aber das machte nichts. Dad ist nicht perfekt, genauso wenig wie ich. Er gibt sich Mühe, und das ist die Hauptsache. Er hat nicht immer alles richtig gemacht, aber er ist tausendmal besser als Mum. Dad hat uns nicht verlassen, er ist nur traurig wegen Rose. Das kann ich verstehen. Wenn ein Kater überfahren wird, ist das schon schlimm. Aber wenn eine Tochter in Stücke gerissen wird, muss das ganz grausig sein.
Als wir vor der Schule hielten, sah Dad Sunya auf dem Gehweg. Ich beobachtete sein Gesicht im Rückspiegel. Er biss die Zähne zusammen, aber er brüllte nicht Muslime haben meine Tochter umgebracht oder so was. Er befahl mir nicht mal, mich von Sunya fernzuhalten, sondern sagte nur, er käme erst um sechs von der Arbeit heim. Jas drückte seinen Arm, und Dad grinste stolz, und dann sagte er Viel Spaß. Du hast ein Klassezeugnis, also bleib dran .
Ich ging ins Schulhaus. Mein Spider-Man-Shirt hatte ich immer noch an, aber nicht wegen Mum, die es mir gar nicht geschickt hatte. Ich wollte es nicht ausziehen, weil Rogers Blut daran haftete. Wahrscheinlich sah ich damit wie ein Mörder oder so aus, aber das war mir egal. Ich wollte meinem Kater nah sein.
Hier kommt Weichei , schrie Daniel mir entgegen. Er stand mit Ryan vor dem Klassenzimmer. Ich hatte Schiss, aber ich wurde nicht rot, ich zitterte nicht, und ich
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