Meine Schwester lebt auf dem Kaminsims: Roman (German Edition)
schwarz wurden.
Draußen hörte ich eine Stimme. Nicht im Spiel, sondern im echten Leben. Die Stimme war laut und böse. Und sie schrie Curryfresser . Ich schaute durchs Fenster auf den Hof. Daniel verfolgte Sunya und schrie hinter ihr her, als sie versuchte wegzulaufen. Er war mit Ryan und Maisie und Alexandra zusammen, die lachten und ihn anfeuerten. Er schrie Du stinkst aus dem Mund und Du stinkst nach Curry und Wieso trägst du dieses blöde Ding auf dem Kopf . Er berührte den Hijab und versuchte, ihn Sunya vom Kopf zu ziehen. In diesem Moment brüllte mein Herz auf. Lauter als ein Hund. Lauter als das feuerspeiende Ungeheuer im Handtrockner. Sogar lauter als der Silberlöwe am Himmel.
Das Gebrüll brachte meinen Kopf und meine Hände und meine Beine zum Vibrieren. Dass ich rannte, merkte ich erst, als die Klotür an die Kacheln knallte und ich schon auf dem Flur war. Ich raste raus in den Hof und schrie Lass sie in Ruhe . Die anderen lachten, aber das war mir egal. Ich schaute in alle Richtungen, um Sunya zu finden. Dann entdeckte ich sie auf dem Spielgelände. Sie hielt ihren Hijab mit beiden Händen fest, damit Daniel ihre Haare nicht der ganzen Schule zeigen konnte.
LASS SIE IN RUHE .
Daniel fuhr herum. Als er mich sah, trat ein höhnisches Grinsen auf sein Gesicht. Willst du Curryfresser etwa retten , sagte er und krempelte seine Ärmel auf. Ryan sah gemein aus. Ich blieb abrupt stehen und wartete darauf, dass mein Mund sagte Ja, ich will sie retten oder Geh mir aus dem Weg oder irgendwas anderes, das mutig war. Aber nichts kam raus. Ich wartete darauf, dass meine Beine sich vorwärtsbewegten, damit ich Daniel treten konnte, aber sie waren wie gelähmt. Immer mehr Kinder kamen angelaufen, standen im Kreis und beobachteten mich.
Du bist echt ein Loser , sagte Daniel, und die anderen riefen Genau und Mann, bist du schwul . Ich trat einen Schritt zurück. Ich wollte nicht wieder verprügelt werden. Es hatte zu sehr wehgetan beim letzten Mal. Daniel wandte sich wieder Sunya zu und grapschte mit seinen fetten Fingern nach dem Hijab. Sunya fing an zu weinen. Die Menge rief Runter mit dem Tuch Runter mit dem Tuch .
Das erinnerte mich an etwas. An die Bühne. An das schreiende Publikum bei dem Talentwettbewerb.
Ich war nicht mehr auf dem Spielgelände. Ich war im Theater und sah Jas zu. Und die Worte aus ihrem Lied dröhnten durch meinen Körper.
Das Spielgelände war wieder da, in Farbe und mit Ton. Sunya schluchzte. Der Hijab war schon zur Hälfte heruntergezogen. Die Menge johlte. Daniel lachte. Und ich tat nichts dagegen.
NEIN .
Ich schrie, so laut ich konnte. Brüllte. NEIN . Daniel fuhr verblüfft herum. Ich holte mit der Faust aus. Daniel blieb der Mund offen stehen, und ich schoss auf ihn zu, mit der größten Wut in mir, die ich jemals gespürt hatte. Daniel riss erschrocken die Augen auf. Und als meine Knöchel seine Nase trafen, stürzte er zu Boden. Ich schlug wieder zu, diesmal noch härter. Meine Faust knallte auf seine Wange. Sunya schaute auf und starrte mich staunend an. Ich trat Daniel viermal, und bei jedem Tritt gegen seine Rippen sagte ich ein Wort. LASS . SIE . IN . RUHE .
Ryan rannte weg, und die anderen wichen zurück. Sie hatten Angst. Daniel lag am Boden und hatte die Hände vors Gesicht geschlagen. Er weinte. Ich hätte noch mal zutreten können. Ich hätte auf ihm herumtrampeln oder ihn mit den Ellbogen bearbeiten oder ihn in den Magen schlagen können. Aber das wollte ich nicht. Es war auch nicht nötig. Ich hatte mein Wimbledon gerade gewonnen. Die fette Essensfrau blies in die Trillerpfeife.
23
Mrs. Farmer schickte mich zum Direx, aber das war es wert, und ich versäumte nur einen kleinen Teil von Geschichte. Als ich nach der Schule meine Jacke holte, sagten vier Kinder Tschüss zu mir, die vorher noch nie ein Wort mit mir geredet hatten. Bis dann , sagte ich, und sie sagten Wir sehen uns , und ein Junge fragte Kommst du morgen zum Fußballtraining . Ich nickte ganz schnell. Klarer Fall , sagte ich, und er antwortete Cool . Daniel hörte alles mit, sagte aber nichts. Er wagte es nicht mal, mich anzuschauen. Seine Nase blutete nicht mehr, dafür war sie geschwollen. Und seine Wangen waren rot, weil er die ganze Zeit geweint hatte. Tränen tropften auf seine Bruchrechnungen und verschmierten die Zahlen.
Ich schaffte nur vier Aufgaben in Mathe. Ich fühlte mich so leicht und sprudelig, als hätte ich Limo in den Adern, und meine Gedanken blubberten in meinem Kopf herum.
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