Meine Schwester und andere Katastrophen
Pünktlichkeit auftauchte. Ich entschuldigte mich regelmäßig, ich hätte mir ein Bad eingelassen, sodass sie mit Tim vorliebnehmen musste. Ich füllte
die Wanne bis zum Rand mit heißem Wasser und lag wie ein Nilpferd darin, ganz unter Wasser bis auf die Nasenspitze. Es war mein kleiner, privater Luxus, so als könnte ich für zwanzig Minuten diesem Planeten entfliehen. Das Wasser dämpfte alle Geräusche, und wenn ich die Augen schloss, konnte ich mir ausmalen, ich würde hoch über der Erde schweben, in stiller Heiterkeit und schwerelos - mit einem Wort: tot.
Irgendwann ging Cassie wieder, dann klopfte Tim jedes Mal an die Badezimmertür, und ich hievte mich, wenn ich konnte, widerwillig aus dem Wasser und in die Wirklichkeit zurück. Einmal schlug er wahrhaftig eine Macke in die Tür. Er behauptete , er hätte Angst gehabt, dass ich eingeschlafen und ertrunken war, aber ich glaubte, das war nur ein Vorwand, um Gewalt anzuwenden. Es kam mir so vor, als würde er mich ständig rufen , wo ich doch nur allein gelassen werden wollte. »Lizbet, Lizbet« - nie kam er zu mir; immer musste ich zu ihm kommen. Er hätte in beiden Beinen Wundbrand bekommen können, ohne dass sich viel an seinem Leben geändert hätte.
Eines Sonntags war ich gerade im Babyzimmer, als ich ihn rufen hörte: »Lizbet, Lizbet!«
Ich stürmte in den Flur und schrie: »Fuck, was ist denn los?« Weil keine Antwort kam, donnerte ich nach unten - wo Tim, Tabitha und Tomas in einem verschüchterten Grüppchen an der Haustür standen. Tabitha trug - ich musste blinzeln - ihr neugeborenes Baby Celestia auf der Hüfte.
»Äh, also, Entschuldigung«, trällerte ich. Ich senkte die Hand grob in die Richtung von Tomas’ Kopf und erklärte ihm: »Ich bin nur wütend auf meinen Mann!« Ich schaffte es nicht, die kleine Celestia anzusehen, aber ich spürte ihre Anwesenheit wie eine pulsierende, radioaktive Quelle im Raum.
»Du hast ›Fuck‹ gesagt«, verkündete Tomas.
»Nein, nein, nein, ich habe ›Sack‹ gesagt.«
Ich lächelte Tabitha an, obwohl ich sie am liebsten angebrüllt hätte: »Was macht der denn hier? Schaff mir das Balg vom Leib. Und das Baby dazu - wie konntest du nur, bist du irre? « Wahrscheinlich hätte Tabitha, wäre ich eine Alkoholikerin auf Entzug, an der Tür geläutet und zwei Flaschen Champagner vor meiner Nase geschwenkt.
Tim drehte sich steif zu mir um. »Tabitha wollte fragen, ob wir auf Tomas aufpassen können, sie muss -«
»Das stimmt gar nicht!«
Ich sah Tomas an. »Was stimmt nicht?«
»Dass du ›Sack‹ gesagt hast. Du hast nicht ›Sack‹ gesagt, du hast -«
»Tomas«, fiel ihm Tabitha ins Wort, »es reicht.« Sie lächelte mich an. »Meine Schwester ist in den Wehen - es ist ihr Erstes -, und ich habe ihr versprochen, sie ins Krankenhaus zu fahren, und ich -«
Ich starrte sie mit offenem Mund an, ganz bestimmt. Tabitha strahlte mich an, und als sie sagte: »Es ist ihr Erstes«, bedachte sie mich mit einem Blick, aus dem »Ach, du weißt schon, diese frischgebackenen Mütter, die sind doch zum Schreien« sprach.
»Warum nimmt sie kein Taxi?«
Das Lächeln löste sich in Luft auf.
Tim räusperte sich. »Lizbet meint, dass es dann vielleicht schneller ginge.«
»Eigentlich meinte ich -«
»Und natürlich passen wir auf Tomas auf«, ergänzte er, eine Hand auf meinem Rücken, wo er die Haut zwischen meinen Schulterblättern zusammendrückte.
Tabithas Lächeln blitzte sofort wieder auf. »Ach, ihr Lieben !« Sie seufzte. »Normalerweise würde ich euch nicht zur Last fallen, aber das Kindermädchen ist krank; sie sagt , sie
ist überarbeitet - das ist schwach! Schwach! Und Jeremy kommt nicht mit Tomas und dem Baby zurecht. Gestern hatte ich eine Pediküre und die drei fünf Minuten allein gelassen, und als ich zurückkam, saß Jeremy im Sessel, während Tomas eine riesige Schachtel voller Kunststoffchips auf den Dielenboden geleert und sie in Millionen Krümel zertreten hatte. Jeremy behauptete, er hätte ihn nicht daran hindern können, weil er »auf das Baby aufpassen musste« - dabei habe ich genau gesehen, dass er es sehr wohl geschafft hatte, den Guardian von der ersten bis zur letzten Seite durchzulesen. Darum dachte ich mir, ach ja, Tomas hat seine Pateneltern schon länger nicht gesehen.« Pause. »Ich dachte, für euch wäre das auch nett.«
Ich würgte. »Du dachtest -«
»Das ist es auch!«, verkündete Tim schnell. »Tomas ist mein kleiner Kumpel, richtig, Tomas? Du kannst mir helfen, den
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