Meine Schwester und andere Katastrophen
Triumph des Gefühls über den Verstand, vor dem ich immer zurückgeschreckt war. Aber inzwischen war mein Bedürfnis stärker als die Angst. Ich wäre das horizontale Gegenstück eines Wühltischartikels.
George würde davon ausgehen, dass das Kind von ihm war. Die Ehe würde weiter dahinkriechen. Ich würde meine Schwiegereltern behalten. Immer wenn ich mir vorstellte, ich könnte sie verlieren, bekam ich vor Panik kaum noch Luft. Ivan und Sheila Hershlag behandelten mich wie eine Prinzessin. Wenn sie ihre Einkäufe erledigten und diskutierend die Supermarktgänge abgrasten, hatten sie dabei stets im Kopf, dass ich sie besuchen kommen könnte. Keine Pilze im Hühnergulasch, Cassie mag doch keine Pilze. Und für den Tomatensalat Mozzarella aus Kuhmilch, Cassie mag keinen Bufala . Mrs Hershlag hatte mir Handcreme gekauft. Und neue Tischdecken. In meiner Küche kam sie praktisch nicht zum Sitzen, weil sie immer was »zu tun« hatte und die Theke hinter der Espressomaschine schrubbte, wenn sie nicht zufällig die Klinken wienerte. Sie und Ivan kamen mich in ihrem Sabbatstaat in der Kanzlei besuchen.
Nein.
Diese Familie konnte ich unmöglich hintergehen, obwohl ich schon beim Anblick eines fremden Babys eine so herzzerreißende Sehnsucht nach einem Kind spürte, dass ich mich abwenden musste, selbst wenn das Kleine aussah wie eine bösartige Schwiegermutterkarikatur. Ich konnte das Baby nicht belügen. Mir war deutlicher als den meisten anderen Menschen bewusst, wie wichtig es ist, genau zu wissen, woher man kommt. Mein Baby sollte seine wahren Eltern kennen und mit ihnen zusammen sein. Ich würde nicht zulassen, dass mein Kind von Geburt an um seinen Vater betrogen würde. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es jedem, den seine biologischen Eltern nicht kennen und lieben, an heiterer Gelassenheit fehlt. Ich verleugnete den fehlenden Teil meiner Seele, der Sarah Paula war, weil meine Gier nach ihr so unbeherrscht und rücksichtslos war, dass sie etwas Animalisches hatte.
Aber wenn ich bei George und ihm treu blieb, war es ziemlich wahrscheinlich, dass es kein Baby geben würde. Es sei denn, wir würden es zeugen können, indem wir gemeinsam in die Hände klatschten.
Und falls wir das taten (das Fruchtbarkeitsklatschen ist ein noch kaum erschlossenes Forschungsgebiet), würde es dem Baby dann überhaupt recht sein, falls es entdeckte, dass Mummy und Daddy nur in beiderseitiger Abscheu vereint waren? Ich stellte mir vor, wie George einem kleinen Wesen eine Gutenachtgeschichte vorlas. Würde er für jede Figur seine Stimme verstellen und sich die Zeit nehmen, das Geschehen zu erklären und zu besprechen? Oder wäre er wie unsere Mutter, die alle Geschichten in demselben monotonen, gelangweilten Tonfall vorlas, so schnell sie nur konnte, und nur vom Text abwich, um sarkastische Kommentare abzugeben?
Dank unserer Mutter hatten Lizbet und ich bis ins Erwachsenenalter geglaubt, »Ein Tiger kam zum Tee« sei die Geschichte einer Hausfrau am Rande des Nervenzusammenbruchs, die es nicht mehr ertrug, auch nur ein weiteres Essen zu kochen oder auch nur einen weiteren Teller abzuspülen, und ihrem Mann darum eine lächerliche Lüge über ein Zootier erzählte, das in ihrer Küche in einen Fressrausch verfallen war. Die Passagen, in denen der Tiger »Daddys Bier« trank und nichts für »Daddys Abendessen« übrig ließ, waren wie rote Tücher für einen auffällig übellaunigen Stier. »Natürlich«, murmelte Mummy. »Denn die dumme alte Mummy lebt bekanntlich von nichts als Luft und Liebe!«
Ich wendete das Kissen noch mal und wühlte meinen Kopf hinein. Es wurde allmählich warm und flauschig, doch dann klapperte George in der Küche mit einem Topf, und ich war wieder hellwach. Ich sprang aus dem Bett und kreischte: »Hör auf, so einen KRACH zu machen!«
»Blabla!«, brüllte George zurück.
Das war mehr oder weniger unsere gesamte Konversation an diesem Tag. Wir konnten einander wirklich nicht besonders leiden.
Gleich morgen früh würde ich ihm erklären, dass es aus war. Aber erst musste ich mit jemandem sprechen.
»O Cass«, sagte Lizbet, »ich bin - huäch ! Entschuldige, mir ist das Paracetamol im Hals stecken geblieben - entschuldige bitte. Warte. Sphinx will dir was zuschnurren.«
Seufzend wartete ich ab, während meine Schwester der Katze den Telefonhörer ins Gesicht drückte und die Katzenimitation eines startenden Motors mein Trommelfell kitzelte. Ich hatte mich noch nie bedürftig gefühlt, es war
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