Meine Schwester und andere Katastrophen
mit Tomas. Ich konnte ihm seine Bedürfnisse nachfühlen, aber meine Bedürfnisse - nicht von fremder Leute Kinder behelligt zu werden - waren mir wichtiger.
KAPITEL 23
»Biskuit, dein Gesicht ist voll surreal!«, sagte Kevin, wobei er einen langen Spaghettifaden hochzog und sein Mango -Top mit Tomatensoße besprenkelte. »Lila … blau … ein bisschen Grün … und etwas Gelb. Wie von David Lynch. Das bringt mich auf eine total irre Shooting-Idee. Lauter Tussis, total blaufleckig, aber, du weißt schon, voll stylish, verstehst du?« Ich nahm zickig einen Happen von dem überbackenen Käse auf meinem Halloumi-Salat, bestrich dann hektisch ein Weizenbrötchen mit Butter und häufte zuletzt den grünen Salat an den Tellerrand. Kein Mensch mag grünen Salat. Oder etwa doch? Im Ernst? »Was?«, fragte ich. »So wie Ehefrauen verprügeln à la mode?«
»Ganz genau!«, sagte er. »Ganz genau! Ich meine, natürlich ist das Wort »›Ehefrau‹« in unserem Heft tabu, aber ansonsten - ganz genau! Modisch. «
Ich war sarkastisch, er war es wohl nicht. Aus Mangel an Konkurrenten und ohne dass es mich besonders stolz gemacht hätte, war ich seine Vertraute geworden. Natürlich war das ein echter Karriereschub - vorausgesetzt, ich wollte es irgendwann in die Pornobranche schaffen -, aber Kevin war eindeutig der dümmste Mensch, der mir je begegnet war. Ich hasste mich dafür, dass ich ihn so geduldig ertrug, und zwar nur, so nehme ich an, meines Gehaltes wegen. Tim verdiente ganz gut, aber das hatte nichts mit mir zu tun. Ich
stand immer noch an der Grenze zur Armut. Ich verließ mich nicht mehr darauf, dass wir beide eine Einheit bildeten.
»Das macht dich zu meiner Muse, hab ich recht?« Kevin grinste mich über den Tisch an und tätschelte meine Hand. »Hau nicht so rein, Puppe«, ergänzte er dann. »Du hast echt eine niedliche Figur. Du solltest dich nicht gehen lassen. In deinem Alter muss man vorsichtig sein.«
Für wie alt hielt er mich? Fünfundfünfzig? Er sah aus wie ein Kegel.
»Mhm«, sagte ich und lachte, denn mehr brauchte Kevin nicht an Bestätigung, um sich aufs nächste Thema zu stürzen.
»Wir machen demnächst so eine Lesbenkiste, aber halt dich fest - alle Fotos: schwarz und weiß. Na? Na? Kapierst du, das ist keine Pornographie, das ist Kunst. Du musst nur wissen, wie der Markt tickt!«
»Mhm. Haha!«, sagte ich und fügte zur Sicherheit ein »Super!« an. Ich fragte mich, was Tim gerade machte.
Die Titelmelodie von Miami Vice explodierte aus Kevins Handy, das vor ihm auf dem weißen Leinentischtuch lag. Geh schon ran , dachte ich, während ich unter den grimmigen Blicken der anderen Gäste zusammenschrumpfte. Kevin warf einen mächtigen Brocken Walnussbrot in seinen Mund und kaute lässig, während er mit den Fingern den Takt der Musik auf den Tisch klopfte.
»Gehst du nicht ran?«, fragte ich.
»Das ist Fletch«, sagte Kevin. Er wedelte mit dem Finger und drückte das Telefon ans Ohr. »Hab dir doch gesagt, du sollst mich nicht beim Essen stören. Was? Im Private Eye? Was? Ugandischer wie? Ach. Okay. Okaaay! Ich und Biskuit, wie? Cool! Ach, scheiß doch drauf! Quatsch, natürlich nicht, ich mag sie blond, aber du weißt schon, gequatscht wird viel - Männerheft -, da muss der Chef schon was draufhaben.
Verzeihung, was? Wer ist Elizabeth? Biskuit? Warum sollte die sich dran reiben? Die kann Spaß verstehen! Sie ist unsere Sexkolumnistin, verdammt noch mal, das ist voll ihr Territorium!« Er schnaubte und drückte das Gespräch weg.
»Worum geht’s?«, fragte ich. Ich spürte, dass ich zitterte.
Kevin lachte heiser wie ein Seelöwe. Dann nahm er meine Hand und leckte über meine Fingerkuppe.
»Igitt!«, schrie ich auf. »Was soll das denn?« Ich wedelte mit der Hand und sterilisierte den Finger in seinem Wodka Lemon.
»Autsch! Das war mein Drink!«
»Autsch. Das war mein Finger!«
»Du hast gefragt. Und ich hab’s dir gesagt. Gezeigt. Im Private Eye von dieser Woche steht, dass wir miteinander bumsen.«
»O Gott. Das ist ja grässlich.« Ich brach in Tränen aus.
Kevin starrte mich an. »Was hast du für ein Problem? «, fragte er. »Du solltest dich freuen, dass man dich mit einem Klassemann in Verbindung bringt.«
»Einem Klassemann ? Du? « Plötzlich versiegten die Tränen, und die Wut kochte hoch. »Ich habe eine Familie und einen Freund und einen Ruf als Journalistin zu bewahren! (Immerhin ein Drittel davon war wahr.) Und worüber sollte ich mich freuen? Dass über mich
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