Meine Schwiegermutter trinkt - Roman
und fett vor dir stehen, kannst du nicht sagen: ‚Uh, schau dir das mal an!’‹
›Ich … versteh nicht, … wovon du sprichst‹, stottere ich.
›Von dir.‹
Ich lasse den Kopf hängen.
› Sie ist gegangen‹, winsele ich.
›Oo, eine Runde Mitleid! Siehst du, du weißt aber ganz genau, wovon ich spreche!‹
›Ich war wie gelähmt. Ich war da, sie ging weg, und ich schaute ihr dabei zu.‹
›Und wenn das sogar goldrichtig war?‹
›Im Ernst?‹, frage ich, verblüfft und strahlend.
›Versuch die Sache mal anders zu sehen: Endlich bist du dir mal im Klaren darüber gewesen, was dir passiert ist.‹
Von unten spüre ich so was wie einen Luftstoß, wie Marilyn über dem Subway-Lüftungsschacht in dem berühmten Film. Ich habe Lust, in die Hände zu klatschen, so begeistert bin ich davon, dass es mir gelingt – plötzlich, von einem Moment auf den anderen – meine Situation aus einer würdigen Perspektive neu zu betrachten.
›Hey, weißt du, dass du recht hast?‹
Mein Schutzengel nickt und zuckt mit den Schultern (was so viel heißt wie: das ist mir nicht neu !), dann klettert er von JONAS runter und hüpft aufs Fensterbrett zurück (allerdings nicht besonders athletisch).
›Okay, ich geh dann.‹
›Was?‹
›Na, für heute hab ich ja wohl genug gearbeitet.‹
›Was, so schnell machst du dich wieder aus dem Staub?‹
›Glaubst du vielleicht, es ist ein Spaß, sich um dich zu kümmern?‹
Darauf könnte ich ihm selbstredend die passende Antwort geben, aber da er sich vorübergehend meine Dankbarkeit erworben hat, lasse ich es dabei bewenden.
Flap-flap .
Noch im Schwung meiner Begeisterung gehe ich zum Gericht, um dort kurz die Runde zu machen (und das eine oder andere kleine Kompliment einzustreichen, schon klar, oder?).
Tatsächlich ist es dort heute das reine Vergnügen: Alle drehen sich nach mir um. Alle grüßen mich (sogar diejenigen, die mich noch nie gegrüßt haben). Alle gratulieren mir (sogar diejenigen, die ich gar nicht kenne).
Ihre Kommentare und Komplimente machen mich verlegen, aber zu sehen, wie sie sich um mich scharen, ist richtig nett.
Zur Sicherheit verschanze ich mich aber weiter hinter meiner Sonnenbrille (obwohl ich damit schon fast zweimal die Treppe runtergefallen wäre) und gebe einsilbige Antworten.
Wer vor mir mit der Zeitung rumfuchtelt, wie um zu sagen: ›Du stehst für uns alle‹, dem begegne ich schüchtern und leicht betreten.
Nur ein einziger Kollege – ein alter Bekannter und selber nicht mehr der Jüngste (alles in allem ein wackerer Kerl, einer von denen, die ruhig leben könnten, wenn sie nicht ewig mit der Welt im Clinch lägen) – geht garantiert vier Mal an mir vorbei und grüßt mich ostentativ nicht.
Erst als er gar nicht mehr anders kann, also so ungefähr beim fünften Vorbeigehen, kommt er zu mir her und reicht mir die Hand. (Vor Anstrengung beißt er die Zähne so fest zusammen, dass ich fürchte, er zermalmt sich gleich einen Backenzahn.)
»Ich war gerührt, Vincenzo«, sagt er (und irgendwie habe ich das unangenehme Gefühl, die Untertitel mitlesen zu können. Der Subtext heißt nämlich: Wenn dich doch nur auf der Stelle ein Infarkt umhauen würde, du Arschloch; allerdings solltest du noch so lange bei Bewusstsein bleiben, dass du mich noch lächeln siehst, während ich so tue, als würde ich Hilfe rufen. )
»Was du nicht sagst, wirklich?«
»Du warst richtig … effizient.« (Vulgo: Mein Gott, wie ich dich hasse! )
Sein Blick hat jetzt eine solche Starre, als würde ihn gleich der Schlag treffen; sogar seine Ohren sind rot angelaufen. (Ich befürchte ernsthaft, dass er jeden Moment umkippt und auf den Fußboden knallt.)
Glücklicherweise kommt jetzt mein alter Freund Massimo dazu, der mich jeder Formalität zum Trotz einfach beschlagnahmt und abführt, um noch einen Kaffee mit mir zu trinken.
Der sechste an dem Tag.
Vincenzo beantwortet
den Proustschen Minifragebogen
Ihr Hauptcharakterzug?
Sie kennen doch meinen Nachnamen?
Welche Eigenschaft schätzen Sie bei einem Mann am meisten?
Humor.
Und bei einer Frau?
Entgegenkommen.
Ihr größter Fehler?
Mein Hang zum Grübeln. Aber die kleineren Fehler sind auch nicht besser.
Wann haben Sie das letzte Mal geweint?
Vor ein paar Tagen, als ich den Film Der letzte Schnee des Frühlings auf einem regionalen Fernsehsender sah. Können Sie sich an den noch erinnern? Er hatte einen schrecklichen Untertitel: … Schade, Papa, dass ich dich nicht mehr wiedersehe.
Das
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