Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Meine Schwiegermutter trinkt - Roman

Meine Schwiegermutter trinkt - Roman

Titel: Meine Schwiegermutter trinkt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diego de Silva
Vom Netzwerk:
Meter weiter stand eine Oma, die vorwurfsvoll zu mir herschaute, weil sie schon dreimal erfolglos versucht hatte, Dosenbohnen vom Regal runterzuholen und ich bislang noch keine Anstalten gemacht hatte, ihr zu Hilfe zu eilen.
    Wo waren sie jetzt, die ganzen Pseudo-Helden, fragte ich mich? Diese hehren Typen, die sich immer in die Angelegenheiten anderer einmischen? Die Spanner, die alle öffentlichen Unglücksfälle mitverfolgen? Die, sobald irgendwo eine Schlägerei losgetreten wird, nicht lange fackeln, sich ins Getümmel werfen und ihre körperliche Unversehrtheit aufs Spiel setzen, wenn sie dafür nur im Zentrum des Geschehens stehen? Die Spanner, die sofort losstürmen, wenn es draußen kracht (selbst wenn sie schon eine Dreiviertelstunde auf der Post angestanden haben und gleich dran wären) – nur, um den Unfall zu sehen? Wo waren sie also, die Einmischer? Und weshalb kamen sie nicht angelaufen, um sich ein bisschen in die heimtückischen Angelegenheiten des Ingenieurs Romolo Sesti Orfeo einzumischen?
    Wie ein Gefängniswärter auf Abendinspektion der Todeszellen schritt Matrix jetzt am Regal mit den Milchprodukten und der frischen Pasta entlang – die Joghurts checkte er mit besonderer Strenge ab.
    Ingenieur Romolo Sesti Orfeo hielt wenig mehr als einen Meter Abstand zu ihm, aber im Gegensatz zu Matrix kehrte er den Milchprodukten den Rücken zu, weil er wieder die Fernbedienung aus der Jacke gezogen hatte und sie mit der abgeklärten Ruhe eines Technikers, der die Anlage prüft, auf zwei weitere Monitore richtete. Als er zufällig aufblickte, sah Matrix ihm direkt ins Gesicht (Ingenieur Romolo Sesti Orfeo lächelte ihn unverbindlich an, worauf dieser allerdings nicht reagierte), dann ließ er seinen Blick auf die Hand mit der Fernbedienung sinken und von dort aus wieder nach oben zu den beiden Bildschirmen wandern. Nachdem seine Augenbrauen so etwas wie Zustimmung signalisiert hatten (in der Art: »Aha, so ist das«), widmete er sich erneut der Suche nach dem Joghurt.
    »Entschuldigen Sie, junger Mann«, wandte sich die Oma jetzt direkt an mich, nachdem ihre auffordernden Blicke neuerlich ins Leere gelaufen waren. Mit dem Kopf deutete sie auf die Borlotti-Bohnen, die für diese kleine Person wirklich viel zu weit oben standen, und sah mich streng an.
    Ist dir schon mal aufgefallen, dass die Alten das immer so machen, wenn sie Hilfe brauchen? Noch bevor du kapiert hast, was du eigentlich tun sollst, haben sie dich bereits in der Pflicht. Du musst aber allein darauf kommen, dich nützlich zu machen – bitten würden sie niemals.
    »Ah, natürlich«, antwortete ich und eilte der Oma zu Hilfe.
    Und dann passierte es: Gerade als ich mich auf die Zehenspitzen stellte, um an die Dose ranzukommen (wie lange werde ich wohl dafür gebraucht haben, fünf Sekunden?), erkannte ich nicht weit entfernt die Stimme von Ingenieur Romolo Sesti Orfeo. Klar, deutlich und ruhig:
    »Keine Bewegung.«
    Ich fuhr herum. Das Erste, was ich sah, waren Matrix’ Arme, die sich langsam, wie auf göttlichen Zuruf hin erhoben. Dann seinen Kopf mit dem Zöpfchen, dann eine Pistole, die auf die Höhe seiner Schläfe zielte. Dann eine Hand, die sie umklammert hielt und zu einem Arm gehörte, der direkt am Rumpf des Ingenieurs Romolo Sesti Orfeo endete. Ja, genau so habe ich es gesehen: In umgekehrter Reihenfolge, wie wenn man mit dem Videorekorder im Suchlauf zurückspult. Unglaublich, wie Angst die Wahrnehmung der Fakten einschränkt – oder wahlweise auch erweitert (weshalb viele Zeugen auch unter Eid daran festhalten, offensichtliche Details, die sie als Augenzeugen einfach gesehen haben müssen , nicht mitbekommen zu haben: weil die Angst ihre Wahrnehmung verblendet und verzerrt hat)!
    Wenn das Hirn sich in solchen Situationen selbstständig macht – was da alles an instinktiver Philosophie herauskommen kann … Was für schlaue Gedanken über das Provisorische im Leben, die Entdeckung der wirklich wichtigen Dinge undsoweiterundsofortundüberhaupt. Theoretisch zumindest.
    Praktisch kam mein Hirn nur auf eine Frage: ›Wie, zum Teufel, stellt der Kerl es an, dass ihm die Hand nicht zittert?‹
    Capito? Nicht etwa: ›Wo hat der auf einmal die Pistole her? In seiner Jacke war keinerlei Ausbeulung zu sehen!‹; oder – nur so als Beispiel – : ›Bestimmt erschießt er ihn jetzt und mich und die Oma gleich noch dazu‹ (in Anbetracht der Umstände die durchaus berechtigte paranoide Variante der Pistolenfrage).
    Nein – alles, was mein

Weitere Kostenlose Bücher