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Meine Schwiegermutter trinkt - Roman

Meine Schwiegermutter trinkt - Roman

Titel: Meine Schwiegermutter trinkt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diego de Silva
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sich die Live-Übertragung streitig machen, und Ingenieur Romolo Sesti Orfeo wäre schon in Verhandlung mit einem erfahrenen Bullen à la Harvey Keitel oder Tommy Lee Jones. Der hätte ihn ermahnt, ruhig zu bleiben und ihm eine Reihe persönlicher, sogar ziemlich kompromittierender Angebote gemacht, damit die Sache rasch und ohne Blutvergießen zum Ende kommt.
    Wir hingegen sind in der Wirklichkeit (die ja ist wie Kino, nur ohne Beschönigungen und mit dilettantischem Drehbuch), und haben es – zumindest im Augenblick – mit einem Polizistenpaar zu tun, das auf Verstärkung wartet, und mit Mary Stracqua am Mikrofon.
    »Der Unterschiet«, fährt die Kollegin von Peter Arnett fort und bringt ihre Lider auf halbmast (dieses inspirierte Zögern kenne ich schon: Jetzt hat sie bestimmt ein ganz persönliches Ding auf der Pfanne!), »der uns zeikt, dass die Firklichkeit die Pfantazie wieter einmal einholt …«
    ›Wooow!‹, sage ich mir. ›Gleich klatsche ich Beifall!‹
    Ingenieur Romolo Sesti Orfeo streichelt sich allen Ernstes die Stirn.
    »… ist, dass fir in diesem Pfall in Echtzeit verpfolken können, was im Innern des Zupermarkts passiert. Die Pfermutunk, dass wir es hier mit einer Pforpführaktion zu tun hapen, ist pfielleicht also nicht zu kewakt.«
    ›… oookay‹, denke ich mit einem Seufzer der Erleichterung, ›sie hat’s wieder mal geschafft.‹
    Mein Gott, was für ein Akt! Als ob man sich den Spaziergang eines schwer Depressiven auf einem Dachsims mitansehen muss. Ich kann es kaum erwarten, dass irgendein anderer Fernsehsender ankommt und Mary die Exklusivrechte an der Liveübertragung (wenigstens die) abnimmt, damit wir diese Qual los sind.
    Ich atme durch und schaue mich um. Dabei fällt mein Blick auf Gesichter, die genauso fertig aussehen wie meins. Matrix hingegen ist ausdruckslos geworden. Wo seine Mimik bislang schwankend war zwischen beleidigter Majestät und Rachegelüsten, herrscht in seinem Gesicht jetzt Tabula rasa, eine erschreckend reglose Fläche.
    Mir fallen die Fernsehfilme über Sanitäter ein, wo der Arzt nur mal kurz weggeht, und wenn er wiederkommt, ist der Verletzte tot. Die Zuschaltung von Mary Stracqua aus dem Eingangsbereich muss Matrix zweifellos schwer erschüttert haben.
    Ich versuche mich in ihn hineinzuversetzen und lasse das Geschehene Revue passieren:
    ›Also, fassen wir mal zusammen: Ich bin in einem Supermarkt am Stadtrand an einem Kühlregal festgekettet; um mich herum ein Dutzend Fernseher, die mich in dieser demütigenden Situation aufnehmen. Möglicherweise muss ich sterben, weil der Typ, der mir diesen bösen Streich gespielt hat, nicht gerade daran interessiert zu sein scheint, dass ich hier auf zwei Beinen rauskomme. Außerdem ist mir immer noch nicht klar, warum das alles passiert, und für die Direktübertragung meines Unglücks haben sie eine alte Scharteke von einem Piss-Fernsehsender hergeschickt, die nicht mal Italienisch kann und grausigen Stuss verzapft.‹
    Wie nicht anders zu erwarten, bin ich nach diesem Gedankengang emotional ziemlich aufgewühlt. Und darin, dass man nicht mehr zur Gegenwehr ansetzt, sich vielmehr bereitwillig an eine wie auch immer geartete Zukunft ausliefert, schlägt sich typischerweise der Verwirrungszustand nieder, den Mary Stracqua in ihren Zuhörern auslöst.
    Wenn du dich in die Ecke gedrängt fühlst, ist die einzige Hoffnung, da wieder heil rauszukommen, dass du dich geistesgegenwärtig an den noch so kleinsten Strohhalm klammerst. Du musst blitzschnell überlegen und entscheiden, welche Schritte im Einzelnen zu tun sind.
    Mary allerdings stellt für jede strategische Überlegung – ach was, sogar für jede wie auch immer geartete gedankliche Aktivität – eine Gefahr dar. Wenn sie dich belabert, stehst du, ehe du’s dich versiehst, vollkommen neben dir; sie lenkt dich ab, weil du dir um sie mehr Sorgen machst als um dich selber und weil dir vor Schreck jedesmal der Atem stockt, wenn sie einen Satz anfängt oder vor allem, wenn sie einen zu Ende bringt. Vermutlich geht der Stress solch andauernder Übertragungsleistungen schlicht jedem Menschen über die Kräfte.
    Die Reaktion von Matrix rechne ich der Symptomatik zu, die gemeinhin auftritt, wenn man so was Schreckliches durchgemacht hat, und ich ziehe daraus den entwaffnenden Schluss, dass mit Mary Stracqua nicht mal die Camorra mithalten kann.
    »Der Zupermarkt«, hebt unsere Fallaci für Arme wieder an, »furte efakuiert« (das geht ihr jetzt wieder anstandslos

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