Meine Schwiegermutter trinkt - Roman
Ballerinaschuhe; aus der Blazertasche blitzt ein Füllfederhalter hervor.
Ihrer kontrollierten Erregung zufolge, mit der sie die Nachricht ansagt, kommt sie sich gerade sehr CNN -mäßig vor. Tatsächlich habe ich sie, ganz im Ernst, im Fernsehen auch schon mal sagen hören: ›Der Kollege Peter Arnett‹ (Arnett, daran sei erinnert, hat 1966 für seine Reportagen aus Vietnam den Pulitzer-Preis gewonnen, richtig berühmt wurde er aber rund zwanzig Jahre später, als er eben für den CNN den Golfkrieg verfolgte).
»Wir unterprechen unser Prokramm für eine Zonterauskape der Nachrichten«, verkündet sie gerade und macht eine dramatische Pause.
›Welches Programm denn?‹, weise ich sie innerlich zurecht. ›Höchstens Teleshopping, so abgetakelt wie du aussiehst.‹
Meine Fresse, kann ich bissig sein …
»Wir bepfinden uns am Einkank zum Zupermarkt Migliaro«, kommt die Grande Dame des Trashs endlich auf den Punkt, »am festlichen Stadtrant, wo es kanz tanach auszieht, als hätte es pfor kurzem eine Keiselnahme gekepen.«
Ingenieur Romolo Sesti Orfeo, Matteo der Wurstwarenverkäufer und ich schauen einander fragend an (nur mit minimaler Verzögerung formen unsere Lippen die Frage ›festlicher Stadtrant‹?), um uns gleich darauf ein ›Ah, richtig‹ zuzunicken.
»Sofeit«, fährt Mary mit dem Hohnlächeln der unverbesserlich Geistreichen fort, die sich einen flotten Spruch auch dann nicht verkneifen kann, wenn sie merkt, dass er daneben ist, »nicht pesonters orikinell, wenn ihr den Fitz kestattet, haha.«
Wir fühlen alle ein gewisses Befremden (so muss es sein, wenn man sich nach einem leichten Erdbeben umschaut und den Blick der anderen sucht, um seinen Verdacht bestätigt zu sehen). Tatsächlich alle, denn auf den Monitoren sehe ich auch die geschockten Mienen von Mulder und Scully.
Matrix fixiert Mary Stracqua mit verzerrter Miene und gleichbleibendem Entsetzen, als würde es ihm tierisch schwerfallen, ihr Gefasel in ordentliches Italienisch zu übersetzen. Vielleicht traut er auch seinen Ohren nicht oder er fühlt sich gekränkt, weil er merkt, was für einem Kaliber von Journalistin der Kommentar zur Live-Übertragung seiner (vermutlich) ersten Geiselnahme anvertraut ist. Vielleicht auch alles drei.
Ich verstehe sein Dilemma und muss mich daran erinnern, wie sehr ich ihn verabscheue, um das Aufwallen von Mitgefühl zu unterdrücken.
Wir haben kaum Zeit, uns zu erholen, da führt die Nervensäge mit dem Mikro ihren Gedanken auch schon zum bitteren Ende.
»Allertinks«, fährt die Stracqualurso fort und kostet bereits den Scoop aus, »ist die Keiselnahme noch im Kange, und zutem können wir sie tirekt übertraken, da sie von Ampfank an pfom Pfideoüberfachunkszystem im Zupermarkt pfestgehalten forten ist.«
Vor lauter Genugtuung bläht sie die Nüstern.
»In dieser Art von Geschäpft zind die Pfernzeher mit Entlosaufzeichnunk stäntik in Pfunktion: fas so pfiel heißt, wie dass die Keiselnahme von Ampfank an vom Zystem aufkezeichnet forten ist. Tarum fird man nicht lanke ermitteln müssen, um den Schuldiken zu finten, und für die Ermittler ist die halpe Arpeit schon kemacht, haha.«
In der darauf eintretenden eisigen Pause ertappe ich mich bei dem Gedanken, dass sie, mal abgesehen von dem Gipfel an geschmacklicher Entgleisung in ihrem Statement zur mangelnden Originalität der Geiselnahme, abgesehen auch von ihrer lächerlichen Aussprache, dem oberschlauen Schlusskommentar und dem blöden Begleitgekichere, bisher eigentlich nichts journalistisch Unrichtiges gesagt hat.
Instinktiv schließe ich mich mit Matteo dem Wurstwarenverkäufer und Romolo Sesti Orfeo wieder zum Dreieck zusammen und sehe meinen Eindruck in ihren Mienen bestätigt. So kommt’s, dass wir ein bisschen bereitwilliger zuhören, als die Meisterin weiterspricht.
»Man klaupt, man ist in einem amerikanischen Pfilm, mit den Keiselnehmern, die sich in einer Pank verschanzen, und traußen ist die Polizei am Verhanteln, tamit die Keiseln freikommen.«
›Oha, jetzt wird’s pindarisch‹, kommentiere ich bei mir selbst. Wären wir in einem amerikanischen Film, wäre das Gebäude zu dem Zeitpunkt bereits von Dutzenden Polizeiautos umstellt, auf den umliegenden Dächern wären ausgewählte Scharfschützen postiert, der größere Umkreis wäre mit gelb-schwarzem Flatterband abgesperrt und die schreiende Menge bereits unwiderruflich in Schuldzuweiser und Sympathisanten gespalten, die angesagtesten Fernsehsender des Landes würden
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