Meine Schwiegermutter trinkt - Roman
Art Freundinnen durchaus auch mal vögeln – aber nicht mehr als drei Mal, sonst leidet die Freundschaft). Außerdem hatte ich da ja schon Alessandra Persiano (na ja, mehr oder weniger zumindest), und meine Freundin lebte seit zwei Jahren in einer glücklichen Beziehung.
Nives, die von sich behauptet, auf den ersten Blick erkennen zu können, ob zwei Leute zusammen sind oder nicht (selbst wenn die beiden kein Wort miteinander reden), hätte also sofort raffen müssen, was Sache war (außerdem ist sie Psychologin, zum Teufel).
Hat sie aber nicht, im Gegenteil: Sie wurde so eifersüchtig auf diese Freundin und mich wie ein Hund auf seine Knochen und ließ Grobheiten vom Stapel, die mich selbst noch in der Erinnerung schamrot werden lassen. (Also, erst gab sie ein paar wirklich ordinäre Plopplaute von sich, dann grüßte sie ausdrücklich nur mich und fegte mir im Weggehen noch kurz die Schuppen vom Jackett – als ob sie sich eine so vertrauliche Geste noch hätte erlauben dürfen.) Ihr Abschiedssatz schließlich war so ätzend, dass die Mafia ihn gut als Säurebad hätte verwenden können. Sagte sie doch allen Ernstes und wortwörtlich:
»Wie ich sehe, hat dein Sexualleben ordentlich Aufschwung bekommen, Vince’. Herzlichen Glückwunsch.«
Angesichts dieses Meisterwerks an Haltlosigkeit (oder seht ihr vielleicht einen Zusammenhang zwischen meinem Sexualleben und der Tatsache, dass sie mich in Begleitung einer Freundin in einem Drogeriemarkt traf? Schließlich kauften wir keine Präservative – und selbst wenn, was ging sie das noch an?) – angesichts dieser Haltlosigkeit hätte ich ihr natürlich antworten sollen, dass diese Art von Aufschwüngen nichts, aber auch gar nichts mehr mit ihr zu tun haben und es sie demzufolge auch einen feuchten Kehricht angeht, auf wen ich mich schwinge. Stattdessen geriet ich aber rätselhafterweise sofort (wirklich auf der Stelle) ins Nachdenken über den Ausdruck ›Sexualleben‹.
Unverhofft kommt es immer mal wieder vor, dass dir über Wörter oder Wortgruppen ein Licht aufgeht, wenn du über sie nachdenkst und du sie näher unter die Lupe nimmst. Auf einmal kommst du dann zu der spontanen Einsicht, dass die meisten Leute (auch du!) dem allgemeinen Sprachgebrauch nur allzu blind vertrauen; vor allem wenn es sich um Begriffe des alltäglichen Ge- bzw. Missbrauchs handelt, die besonders schick klingen. Wie eben das berühmte Sexualleben .
In dem Drogeriemarkt, in dem meine Exfrau mich und meine Freundin mit ihrer illegitimen Eifersucht belästigte, kam ich jedenfalls zu dem Schluss, dass die beiden Begriffe inkompatibel sind, weil der Sex (im Gegensatz zum Leben) immer einen erhöhten Grad an Bewusstheit mit sich bringt – wenigstens solange er dauert. Das Leben hingegen genießt man auf weitgehend unbewusste Art. In dem Sinn, dass es etwas ist, das man für selbstverständlich hält, solange nichts Lebensbedrohliches passiert. Wie beim ersten Prinzip der Dynamik oder dem Trägheitsprinzip, wonach ein Körper im Zustand der Ruhe oder der gleichförmigen geradlinigen Bewegung verharrt, solange dieser Zustand nicht durch Einwirkung äußerer Kräfte verändert wird.
Aber auch wenn der Zustand der Ruhe oder der gleichförmigen geradlinigen Bewegung eines Körpers (Zustände, die dem Leben sehr ähnlich sind) durch eine von außen kommende Kraft verändert werden kann, heißt das noch lange nicht, dass der Körper sich im Wissen um das irgendwann eintretende Ende seines Zustands diesen, solange er noch dauert, vergällen lassen soll.
Man kann nicht leben, wenn man immer nur daran denkt, dass irgendeine äußere Kraft von jetzt auf gleich alles verändern kann. Um zu leben, muss man sich der Illusion hingeben, dass dieser Zustand ewig dauert, oder ignorieren, dass er nur vorübergehend ist (was letztlich auf dasselbe hinausläuft).
Das Vorübergehende aller Seinszustände zu akzeptieren bedeutet faktisch, es zu verdrängen (ein weiteres schickes Modewort, das meine Exfrau tatsächlich oft benutzt). Das heißt, man muss sich benehmen, als hätte man vergessen, dass das Leben (wie der Zustand der Ruhe oder der gleichförmigen geradlinigen Bewegung) vorübergehend ist; was wiederum so viel heißt wie die Ewigkeit im Augenblick zu fassen (das muss ich schon mal irgendwo gehört haben).
Mit anderen Worten: das Leben ist selbstverständlich. Wenn es aber etwas gibt, das einfach nie selbstverständlich ist (wirklich gar nie, nicht mal in Zeiten, in denen man denkt, man brauche
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