Meine Schwiegermutter trinkt - Roman
im Fernsehen ist ganz und gar nicht übel. Alles, was man sagt oder tut, bekommt automatisch Symbolkraft. Das aber enthemmt einen dermaßen, dass man das einmal Angefangene bis zum bitteren Ende durchzieht, auch wenn man nicht mehr hundertprozentig davon überzeugt ist. So wie jetzt zum Beispiel, wo es aussieht, als wäre ich ein ziemlich mutiger Typ, dabei will ich einfach nur weg von hier.
Ganz ehrlich: Natürlich geht es runter wie Butter, wenn man feststellt, dass die Realität eine beliebige Anregung prompt aufgreift. Normalerweise setzt man die Realität nämlich nicht so leicht in Bewegung – zumindest wenn es um Menschen geht, arbeitet sie eher mit Ursache und verzögerter Wirkung. Meistens macht sie es sich sogar so bequem, dass einem glatt die Lust darauf vergeht. Wenn es hingegen mal vorkommt, dass die Realität sich bereitwillig vor einem aufbaut (diesen Eindruck entstehender Wirklichkeit produziert das Fernsehen perfekt), profitiert man natürlich davon.
Es ist ein bisschen so, als würde man im Spiel gewinnen.
Ingenieur Romolo Sesti Orfeo schaut mich immer noch schweigend an.
In gewissem Sinn habe ich ihn in die Ecke gedrängt.
Bezeichnend ist übrigens, dass er die Monitore permanent im Blick behält.
»Sie wissen ganz genau, das würde ich nie tun«, antwortet er, den Faden unserer Unterhaltung wieder aufnehmend.
Ich schaue auf seine Pistole.
»Nein. Das weiß ich eben nicht.«
Er starrt mich an.
In diesem Augenblick habe ich das Gefühl, ihn entwaffnet zu haben.
Deshalb setze ich nach: »Würden Sie mir trauen, wenn ich Sie mit vorgehaltener Pistole ansprechen würde?«
»Die ist nicht gegen Sie gerichtet.«
»Dass Sie bewaffnet sind, ändert alles«, entgegne ich spontan.
Wir sehen uns lange an.
Ich bin tatsächlich so zufrieden mit meiner Antwort, dass ich glaube, ich sollte jetzt wirklich gehen. Wenn mir eines saumäßig gut gefällt (das habe ich noch nicht gesagt), dann von der Bühne abzutreten.
Wenn keine Replik mehr kommt, ist die Sache klar.
Ingenieur Romolo Sesti Orfeo denkt nach, dann nickt er, lässt aber eine ganz neue Feindseligkeit durchblicken.
»Wollen Sie wissen, Rechtsanwalt Malinconico, was neu ist?«
Ich schweige. (Vermutlich wird er die Antwort schon selber geben.)
»Wenn Sie meinen, nach diesem Auftritt à la Low-Budget-Western würde ich Sie bitten oder gar zwingen, hierzubleiben, dann täuschen Sie sich. Sie haben offensichtlich noch gar nicht begriffen, was hier abgeht. Nicht nur hier drin, sondern auch draußen.«
Jetzt muss ich schwer an mich halten, dass ich ihm keine scheuere.
Erstens ist es absolut lächerlich, dass ausgerechnet er mir Fernseh-Exhibitionismus vorwirft.
Zweitens habe ich solche Versuche, den dialektischen Vorteil des Gegenübers gnadenlos und dazu noch paternalistisch für sich selber auszunutzen, echt gefressen. Weil es absolut mies ist, den anderen vorzuwerfen, sie würden nichts blicken, wenn doch alles sonnenklar ist. Hast du etwa die ganze Zeit noch einen Trumpf im Ärmel, den du aus lauter Höflichkeit nicht ausspielen wolltest? Leck mich doch am Arsch: Wenn du angeblich so gut Bescheid weißt, hättest du’s schon längst gesagt. Na ja, vielleicht wirst du es ja auch gleich sagen: Mal sehn, ob dann die Wände zittern.
»Oh, tatsächlich?«, antworte ich mit einem Sarkasmus, zu dem ich mich im Stillen beglückwünsche, denn normalerweise bin ich in solchen Lebenslagen eher um eine Antwort verlegen. »Wenn das so ist, dann entschuldige ich mich im Namen meiner dürftigen Auffassungsgabe, Herr Ingenieur. Nur leider gibt es hier nicht das Geringste zu begreifen, höchstens dass Sie uns allesamt zwingen, Ihrem elenden Spektakel beizuwohnen, das offen gesagt weit, sehr weit unter dem Niveau einer amerikanischen Polizeiserie liegt.«
Die Hyänen brechen in ein ordinäres, bis zu uns durchdringendes Wiehern aus.
»Ich zwinge Sie zu überhaupt nichts«, entgegnet Ingenieur Romolo Sesti Orfeo irritierend ruhig. »Möchten Sie gehen? Bitte! Nur zu. Im Grunde hätte ich Ihnen einen Gefallen getan. Wenn Sie ihn aber nicht annehmen wollen, ist das Ihre Sache.«
Ich schaue ihn kurz an und überlege allen Ernstes, ob ich nicht alles mitbekommen habe und ob der von ihm soeben verzapfte Schwachsinn am Ende gar ein Fundament haben könnte. (So kann es gehen, wenn jemand versucht, dir ein X für ein U vorzumachen.)
»Hey, passen Sie auf, dass Sie keinen Quatsch erzählen. Davon haben wir schon genug gehört«, antworte ich großmäulig
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