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Meine Schwiegermutter trinkt - Roman

Meine Schwiegermutter trinkt - Roman

Titel: Meine Schwiegermutter trinkt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diego de Silva
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schon in so einer Lage: ohne bewaffnete Ingenieure zwar, aber im Grunde genommen doch genauso verstörend. Situationen, in denen mir eine fremde Rolle übergestülpt wurde, die mich komplett vereinnahmte und nichts mehr von dem übrigließ, was mich ausmachte: Mein bisheriges Leben, meine Wünsche, mein Selbstverständnis – sie riss sich alles unter den Nagel.
    Dieses Unbehagen und diese Frage: ›Was mache ich eigentlich hier?‹ kenne ich nur allzu gut. Genauso gut wie die Widersinnigkeit zu bleiben, obwohl ich doch eigentlich nur weg will.
    Wenn mir rückblickend etwas leidtut, dann die Tatsache, dass ich immer alle Herausforderungen angenommen habe, anstatt aufzugeben. Dass ich, wenn sich jemand auf mich verlassen hat, grundsätzlich zugesagt habe, um niemandes Erwartungen zu enttäuschen. So ist im Laufe der Zeit nur die gezähmte Version meiner Selbst übrig geblieben, der Luschi, der ich heute bin.
    Ich sehe mich noch vor mir, wie ich mit gerade mal fünfundzwanzig in einem Gerichtssaal stehe, wo ein Carabinieripaar ein hochrangiges Mitglied der Camorra in den Käfig wenige Meter neben dem Richterpodium eskortiert (die Entfernung ist mir auch choreografisch immer so vorgekommen wie die zwischen einer Kinderwiege und dem Ehebett von Mama und Papa).
    Der Eskortierte führt sich eher gönnerhaft auf als mit der im Prozess gebotenen Demut und legt die Natürlichkeit eines Stammgastes bei Gericht an den Tag, als gäbe es in seiner Sache nichts mehr zu ermitteln, sondern höchstens noch Ordnung zu schaffen zwischen den verschiedenen Anklagepunkten und wer weiß wie vielen anderen gegen ihn anhängigen Verfahren (also nur die Strafe neu zu verhandeln oder das Strafmaß im Licht anderer Urteile neu abzuwägen).
    Aber das Einzige, was mir in diesem aufwühlenden, erinnernswerten Moment durch den Kopf geht, ist, dass mir die Krawatte lästig ist, dass sie mir schon immer lästig war, weil sie mich einengt und mir die Luft abschnürt, und dass ich sie mir jetzt schon seit einem halben Jahr jeden Morgen umbinde; dass ich in den letzten paar Wochen sogar schon beim ersten Versuch den Knoten korrekt geknüpft kriege und ich mich – das ist das Schlimmste – allmählich daran gewöhne, mich in diesen Klamotten im Spiegel zu sehen.
    Dann geht mir durch den Kopf, dass ich dringend die Bar wechseln muss, weil mich dort, wo ich jeden Morgen hingehe, der Inhaber schon ›Herr Anwalt‹ nennt, obwohl ich noch gar keiner bin (sondern nur mein Examen in der Tasche, dafür aber keine Ahnung habe, wie es mit mir weitergehen soll).
    ›Vielleicht mach ich ja nicht mal das Referendariat‹, würde ich ihm am liebsten sagen, ›bleib mir also vom Leib mit deiner Wertschätzung. Ich garantiere für nichts, Herr Barbesitzer, und muss auch nicht deine Tochter heiraten.‹
    »Wiedersehen, Herr Ingenieur«, sage ich unvermittelt zu Ingenieur Romolo Sesti Orfeo und setze einen Schritt in Richtung Gang.
    Draußen verstummt jedes Geräusch. Man kann eine Stecknadel fallen hören.
    Gestochen klar tritt mir das Bild einer Welle vor Augen, die sich zurückzieht und kurz innehält, ehe sie aufs Neue losbrandet.
    Erst jetzt fällt mir wieder ein, dass wir ja live auf Sendung sind.
    »Was?«, fragt Ingenieur Romolo Sesti Orfeo. Und das dermaßen aufrichtig, dass ich ihm abnehme: Er steht komplett auf dem Schlauch.
    »Ich geh dann jetzt«, erkläre ich ihm so unverfänglich, als hätte er mich eben nach der Uhrzeit gefragt. »Ich habe nicht vor, noch länger zu bleiben.«
    In seinen Mundwinkeln steigt ein säuerliches Lächeln auf, wie bei Donald Duck, wenn ihm keiner gehorcht.
    »Das habe ich Ihnen nicht gestattet.«
    »Ich hab Sie nicht um Erlaubnis gefragt«, antworte ich lakonisch.
    Darüber denkt er kurz nach.
    »Provozieren Sie mich nicht, Herr Anwalt.«
    »Was machen Sie sonst, mich erschießen?«
    Wir versinken beide in Schweigen.
    Auf dem Monitor erkenne ich im Profil Scully und Mulder, die sich offenbar in Habachtstellung begeben.
    Matrix hebt den Kopf und schaut mich an. Ich spüre seine Bewunderung.
    Dann fühle ich so etwas wie einen kollektiven Schauder, der von dem angespannten Publikum vor den Bildschirmen oder der draußen zusammengepferchten Menschenmenge aufsteigt und jedenfalls persönlich an mich gerichtet ist.
    Ohne Zweifel gebe ich gerade eine klasse Figur ab. (Und möglicherweise habe ich meine herausfordernde Antwort zu keinem anderen Zweck gegeben, wer weiß?)
    Falls es euch interessiert: die Dimension der Liveübertragung

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