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Meine Schwiegermutter trinkt - Roman

Meine Schwiegermutter trinkt - Roman

Titel: Meine Schwiegermutter trinkt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diego de Silva
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und drehe mich instinktiv in Richtung Mary Stracqua (die mich pikiert anschaut).
    Wieder Gelächter auf allen Bildschirmen.
    Jemand gluckst sogar.
    »Reden wir doch mal Klartext, ja?«, fahre ich fort. »Erstens muss man mir keinen Gefallen tun; zweitens habe ich Sie auch gar nicht um einen Gefallen gebeten; und drittens ist eine Geiselnahme kein Gefallen: machen Sie sich mal kundig, Mann!«
    »Ich habe einen Kriminellen als Geisel genommen, nicht Sie. Ihnen habe ich nur ein Mandat angetragen. Und mein Angebot gilt immer noch, wenn Sie möchten. Mir ist wirklich unverständlich, weshalb Sie dermaßen auf dieser dummen Prinzipienfrage herumreiten. Eigentlich habe ich Sie nur darum gebeten, Ihre Arbeit zu machen, mehr nicht. Und bis gerade eben lief doch alles bestens.«
    So, das war zu viel. Mir platzt der Kragen.
    »Jetzt machen Sie mal halblang mit dieser Schmierenkomödie, Herr Ingenieur! Ich bin doch nicht als Anwalt hier!«, schreie ich erbost. »Ich bin nur eine weitere Geisel, der Sie in einem miserablen Sendeformat eine Komparsenrolle aufdrücken.«
    »Das ist es ja«, fällt mir der Ingenieur ins Wort. »Merken Sie denn gar nicht, was sich Ihnen da für eine Chance bietet?«
    Mir bleibt die Spucke weg. (Irgendein Witzbold dort draußen findet das zum Lachen.)
    »Wie bitte?«
    »Sie haben eine ahistorische Auffassung von Ihrem Beruf, Herr Anwalt«, spottet der Geiselnehmer. »Haben Sie überhaupt schon mitgekriegt, wo Sie leben? Glauben Sie immer noch, Prozesse finden in den Gerichtssälen statt?«
    Ich hole Luft und gebe mir Mühe, einen klaren Kopf zu behalten.
    »Oookay. Das habe ich heute doch schon einmal gehört. Vom Capitano. Interessante Provokation. Aber wenn Sie erwarten, dass man das wörtlich nehmen soll, ticken Sie nicht ganz richtig, Herr Ingenieur.«
    »Dann nehmen Sie wenigstens das hier wörtlich: Wer, glauben Sie, sind Sie denn? Ein berühmter Anwalt etwa?«
    Mir wird etwas schwindlig (Beleidigungen steigen mir gern zu Kopf), ich werde rot wie eine Tomate und plustere mich möglicherweise sogar auf.
    »Sie sind ein Arschloch!«
    Keine Antwort.
    Er lächelt sogar.
    Die Hyänen draußen freuen sich einen Ast ab.
    Ich hebe den Blick auf den Fernseher und sehe Scully, die die Hand vor den Mund geschlagen hat.
    Mir zittert der Kiefer.
    »Wenn Sie keine Pistole hätten, würde ich Ihnen eins auf die Schnauze geben.«
    »Ich weiß. Tut mir leid.«
    »Wie? Tut Ihnen leid? Sie können mich mal kreuzweise.«
    »Ich wollte Ihnen damit bloß sagen, dass ich Sie nicht für weniger fähig halte als die unzähligen stromlinienförmigen Anwaltsfritzen, die so gut wie täglich im Fernsehen rumsalbadern.«
    ›Da hat er recht‹, denke ich.
    »Ich bin kein Showgirl, Herr Ingenieur«, antworte ich ihm kühl. »Ich bin ein Anwalt. Ich brauche keine Fernsehauftritte. Behalten Sie die ruhig für sich.«
    Ein paar Leute draußen applaudieren, ein paar pfeifen.
    »Ach, Malinconico, erzählen Sie mir doch nichts. Jeder Anwalt will berühmt werden. Karrieren basieren auf Erfolg.«
    »Tja, da muss ich Sie leider enttäuschen, aber diese Art Ehrgeiz besitze ich nicht.«
    »Ah, nein? Was wollen Sie dann? Etwa ein hervorragender Unbekannter bleiben?«
    ›Sieh mal einer an‹, denke ich.
    »Das Geschwätz von der Nische taugt nicht mehr, Herr Anwalt. Werfen Sie es über Bord. Heute haben Sie die Gelegenheit, Ihren Beruf auf dem Niveau zu praktizieren, das zählt. Hier, live, jetzt gleich, ohne erst lang die Akten studiert oder die Verteidigung vorbereitet zu haben, ohne zu wissen, wo anfangen und was genau sagen, ohne Richter, ohne Urkundsbeamte, ohne Zeugen und Angeklagte, denen Sie irgendwas garantieren müssen. Wir sind im Reich des Ungefähren, wir haben das Fernsehen, verstehen Sie? Sogar die Rai. Das ist die Tribüne, die die Leute beeindruckt.«
    Ich bin ganz benommen oder hinke vielmehr hinterher, als würde ich es ihm nicht gönnen, dass er so schnell aufgeholt hat. Das Schlimme ist, dass ich mir nicht mal einen Ruck geben und seine Argumente widerlegen kann, weil sie mir, so ungern ich das zugebe, einleuchten. Aber ich könnte auch schon deshalb nichts darauf sagen, weil Ingenieur Romolo Sesti Orfeo mir keine Zeit dazu lässt.
    »Das praktizierte Strafrecht ist zu einer Farce verkommen. Es hat keinerlei Geheimnis, keinerlei Zauber mehr. Können Sie sich vorstellen, was Kafka für ein Gesicht machen würde, wenn er sähe, was sie aus dem Prozess gemacht haben? Bis zu einem endgültigen Urteil muss man drei

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