Meine Schwiegermutter trinkt - Roman
Kurzschlusshandlungen nicht vorgesehen. Die Bewerber unterziehen sich einer Art emotionaler Zwangsbehandlung (ein bisschen wie Malcolm McDowell in Clockwork Orange , als ihm die Gewalt aus der Psyche ausgetrieben werden soll), und in der letzten Folge stellt man ihnen die obligatorische Frage: ›Fühlst du dich jetzt wie ein anderer Mensch?‹, was sie mit Tränen in den Augen bejahen.
Eingesperrtsein, Exil, Einsamkeit, Melancholie, Absonderung, die Mühe, gesellschaftliche Beziehungen zu knüpfen und sich anzupassen, sogar Hunger und Durst sind in solch einer Logik nur Gesellschaftsspiele, vielleicht mit etwas mehr Aufwand verbunden als normalerweise, aber der Bewerber riskiert nie, sich wirklich den Kopf einzurennen.
Das Auffangnetz ist immer aufgespannt.
Sobald du dich schlecht fühlst, ist der Notarzt zur Stelle.
Live-Übertragungen des Sterbens sind (noch) nicht vorgesehen. (Denn natürlich will das Unternehmen keine Entschädigungsklagen am Hals haben. Es genügt schon, wenn der Bewerber ein wenig sein Gesicht verliert – was im Übrigen ein guter Weg ist, sich eines zu erwerben. Aber das ist wieder eine ganz andere Sache …)
Genau aus diesem Grund vermasselte Matrix’ Coup auch die versuchte Reality-Show seiner Geiselnahme so hoffnungslos: Weil sie dadurch verdammt ernst wurde – immerhin hatte Matrix mit seinem Tun die Gesellschaft der Zuschauer gespalten und die Möglichkeit zur Solidarisierung aufgetan – was in diesem Format tunlichst zu vermeiden ist.
Vor Jahren habe ich mal ein Stück von einer Porno-Unterhaltungssendung gesehen ( ›Probeaufnahmen live‹ lautete der Titel, wenn ich mich recht erinnere). Es ging dabei um Folgendes: eine gestandene Darstellerin der Branche willigte ein, sich auf der Stelle für eine bestimmte Zahl von Minuten von angehenden Filmhengsten bespringen zu lassen (beziehungsweise von gewöhnlichen, ziemlich unansehnlichen, aber chronisch geilen Mackern mit dem verzweifelten Ehrgeiz, ihren Traum zu verwirklichen: die Frau ihrer Wichsvorlage – nicht mal so sehr die Frau ihrer Träume, wenn sie ehrlich waren – zu ficken).
Notwendige Teilnahmebedingung für die Probeaufnahme: Vorabgenehmigung der Übertragung des Abgedrehten, und zwar unabhängig von der erbrachten Leistung.
Übersetzt heißt das nichts anderes als: Du willst die Pornodiva bumsen? Bitte sehr, da hast du sie, sogar kostenlos. Wenn du’s aber vergeigst, landest du lebenslänglich im öffentlichen Versagerarchiv (ein Haken an der Sache, der offen gesagt nicht nur nach schikanöser Klausel, sondern geradezu nach Pakt mit dem Teufel riecht, allerdings ohne dass bei diesem Vertragsschluss der eigene Vorteil garantiert wäre, wie bei jedem respektablen Dämonenvertrag).
Jetzt kannst du lange sagen: ›Ja, aber davon erfahren doch allenfalls Pornokonsumenten, egal ob gelegentliche oder gewohnheitsmäßige; ich versage ja nicht bei Domenica In ‹; aber … aber Pustekuchen. Du schiffst so was von ab, wenn dein Auftritt richtig peinlich wird, da kommst du nicht mehr von weg. Dein sexueller Ruf ist futsch, ohne Chance auf Rehabilitierung. Du kannst dir sogar schon die privaten Vorführungen ausmalen, und wie sie sich auf die Schenkel klopfen auf deine Kosten.
Nach drei oder vier Durchläufen der Probeaufnahmen musste ich das tatsächlich ausschalten. Ich konnte mir das ganze Elend nicht mehr mit ansehen. Sie hätten der Sendung den Titel Ist das ein Mensch? geben sollen, ohne Witz. Denn was da über den Bildschirm flimmerte, war Zelebrierung von Leistungsangst und Impotenz in Reinkultur: Nicht einer dieser verzweifelten Lustmolche brachte nämlich auch nur annähernd genug Leistung, um, ich sag nicht mal, über die Schwelle zu kommen, sondern auch nur an die Tür zu klopfen.
Vor allem war es eine echte Qual, sich das darauf folgende Bemitleidungstheater mitansehen zu müssen, das Gejammer und die Entschuldigungen, die strikt abgelehnten Bitten, es nochmal probieren zu dürfen, die vertragsmäßige Freundlichkeit der Pornodiva in Pfennigabsätzen und Netzstrümpfen, wenn sie den armen Kerl zum Abschied tröstete und sich dann der nächsten Niete zuwandte.
Wahrscheinlich hast du aus meiner Schilderung gleich erkannt, dass die fragliche Horror-Show auf die Vor-Viagra-Zeit zurückgeht. Bedenkt man aber die Leistungsangst – ach was, sagen wir, wie’s ist: die offen zur Schau getragene Leistungsabsenz –, dann hätte die Zauberpille unserer Zeit wahrscheinlich auch nicht mehr Wirkung gezeigt als ein
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