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Meine Schwiegermutter trinkt - Roman

Meine Schwiegermutter trinkt - Roman

Titel: Meine Schwiegermutter trinkt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diego de Silva
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TicTac.
    Sinn und Zweck der Sendung (von den Erfindern vielleicht nicht ausdrücklich verfolgt, aber dafür perfekt erreicht) war es letzten Endes, die niederschmetternde Macht der Fernsehkamera zu beweisen. Denn es ist doch offensichtlich (außer natürlich für die Teilnehmer an Probeaufnahmen live ), dass es eine wahre Herkulestat sein muss, unter der Scheinwerferflut am Drehort eines Films eine sexuelle Hochleistung zu erbringen (dazu noch mit einem vollkommen teilnahmslosen Kameramann, der den Verkehr regelt, indem er dir klare Anweisungen gibt wie: ›Nimm das Bein hoch‹ oder ›Jetzt raus – und wieder rein‹), es sei denn, du bist Profi oder wenigstens eine völlig enthemmte Rampensau.
    Wenn ich jetzt mit einigem zeitlichen Abstand daran zurückdenke, könnte man wirklich sagen, dass Probeaufnahmen live im Verhältnis zur Reality-Show so etwas wie ein Ultimate-Fighting-Kampf im Verhältnis zu einem Boxkampf war: Tiefschläge, vor allem die, waren zugelassen. Und es war die Sendung selbst, die sie einem verpasste.
    Im Grunde war das auch nichts anderes als eine Reality-Show (denn was gibt es Realeres als ein sexuelles Versagen vor laufender Kamera?); aber weil man den Bewerber ins offene Messer laufen ließ, blieb noch eine kleine Tür für Mitleid offen (und genau deshalb war die Sendung auch nichts für das breite Publikum).
    Um sich gegen das Risiko guter Gefühle zu wappnen (Solidarität mit dem Kandidaten bringt den Zuschauer, wie gesagt, auf Abstand zum Sendeformat), hat die Reality-Show den Versagertypen als Protagonisten vereinnahmt und ihn in ein festgelegtes Terrain verbannt. Bloß nicht in Mitleid verfallen! Das gibt’s nicht.
    Das aber ist genau der Knackpunkt, wo Matrix es geschafft hat, der Show von seiner Geiselnahme ein Schnippchen zu schlagen.
    »Hey«, sage ich leise zu Ingenieur Romolo Sesti Orfeo, im Ton eines Freundes, der einen guten Rat erteilt, »vergiss es einfach.«
    »Wie?« Er spricht ebenfalls leise.
    Ich schaue zur Pfütze von Matrix, damit er versteht, was ich meine.
    »Lohnt sich nicht.«
    »Was lohnt sich nicht?«, mimt er den Verständnislosen.
    Ich neige den Kopf zur Schulter und spitze die Lippen, wie um ihm zu sagen: ›Jetzt komm schon!‹
    »Oh, natürlich tut es das«, widerspricht Ingenieur Romolo Sesti Orfeo. Aber er ist kein bisschen überzeugt, das sieht man ihm an.
    Ich suche gerade nach einer Antwort, als völlig unerwartet die früher mal knackige Rai-Journalistin gellend aus den Monitoren trötet, in pikiertem, schulmeisterlichem Ton, als müsste sie ein paar unartige Schuljungen zurechtweisen: »Dürfen wir vielleicht auch mithören?!?«
    Aber ordentlich scharf, als ob wir gerade einen richtigen Bock geschossen hätten.
    Wir verstummen allesamt und drehen uns ungläubig zu ihr um, und in der jetzt folgenden dramatischen Pause kriegt sie mit, dass sie angeeckt ist. Sie bewegt jetzt ihren Kopf hin und her und schaut abwechselnd zu Scully und zu Mulder, als ob die beiden gerade Tischtennis spielen würden.
    Den Vorwurf, den ich Ingenieur Romolo Sesti Orfeo zu einem früheren Zeitpunkt gemacht hatte, weil er sie vorbeugend unsanft abgebügelt hatte, nehme ich jetzt prompt wieder zurück (er muss es schon gewusst haben, was für eine elende Zicke diese Tussi ist); wir tauschen deshalb einen Blick aus, der besagt: ›Wer zuerst, du oder ich?‹
    Ich zuerst.
    »Hören Sie mal«, schreie ich sie praktisch an, »wenn Sie sich nützlich machen wollen, warum verschwinden Sie dann nicht einfach von der Bildfläche?«
    Schlagartig streicht die Journalistin die Segel.
    Der jetzt selbstständige Ex-Kameramann von Mary Stracqua holt sie instinktiv in Nahaufnahme ran (im selben Augenblick frage ich mich, wo sie eigentlich ihren eigenen Kameramann hat).
    »Ich wollte nur wissen, was vorgeht«, rechtfertigt sie sich mit einem Gesicht so dunkellila wie Rote Bete.
    »Dann begnügen Sie sich gefälligst mit Zuschauen und schonen Sie unsere Nerven«, kommt mir Ingenieur Romolo Sesti Orfeo zuvor.
    Die Journalistin lässt einen Seufzer los – das Startsignal für die Hyänen.
    Lautstarkes ›Uaaa‹, dreckiges Lachen, dazu noch das eine oder andere völlig deplatzierte eindeutige Sexangebot an die Adresse der Tussi (besonders eins davon schockt sie offenbar so sehr, dass sie die Augen sperrangelweit aufreißt, als müsste sie sich die ihr gerade vorgeschlagene Position mitansehen).
    »Und wo bleibt überhaupt Ihr Kameramann?«, fragt Ingenieur Romolo Sesti Orfeo mit der Strenge

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